„STÄDTE GESTALTEN WANDEL“
Man nennt ihn den Rock‘n‘Roll-Plato – bei innomake! hält er am 26.10. eine Keynote zum Zukunftsthema „Urbane Transformation“. Im Mannheim My Future-Interview spricht der norwegische Wirtschaftsphilosoph Anders Indset über Städte als Treiber des gesellschaftlichen Wandels.
Zum besseren Verständnis gleich eine Frage zu Ihrer Berufsbezeichnung: Was macht ein Wirtschaftsphilosoph?
Für mich ist das kein Beruf, sondern vielmehr ist diese Bezeichnung ein Lebensbegleiter. Ich war ein Jahrzehnt lang “Hardcore-Kapitalist”. Im Streben nach extrinsischen Zielen aus und in der Wirtschaft spürte ich aber keinen Erfolg. Ich habe die Anteile an meiner Firma verkauft und habe losgelassen. Für mich ist Philosophie eine denkerische Praxis. Deshalb nehme ich mir auch Projekte vor, um meine Überzeugungen konkret umzusetzen – sei es durch Bildungsinitiativen oder durch Beteiligungen an Technologieunternehmen. Ich bemühe mich also um ein besseres Verständnis für Philosophie und Wirtschaft, genau das ist meine Mission als „Wirtschaftsphilosoph“.
Mannheim ist stolz auf seine Historie als Erfinderstadt, denn hier wurden zum Beispiel das Auto (von Carl Benz) und das Fahrrad (von Karl Drais) erfunden. Wie wichtig sind Innovationen für eine Gesellschaft in der heutigen Zeit?
Innovation bedeutet für mich eine Veränderung, die schrittweise erfolgt. Ich sehe diese “Fähigkeit” bei einem Unternehmen in der Kunst Recht zu haben – eben eine Optimierungsgesellschaft, die sich aus dem Bestehenden entwickelt. Die andere Veränderung verstehe ich als die Kunst Unrecht zu haben. Eine schöpferische Zerstörung, wie es Joseph Schumpeter nannte. Beispiele sind für mich Flugzeuge, die CO2 aus der Luft saugen und in Energie umwandeln oder Boote, die Plastik aus den Meeren saugen als Antriebstechnologie. Es braucht heute regenerative Geschäftsmodelle, bei denen Ökonomie und Ökologie synergetisch sind.
Brauchen Erfinder ein spezielles Umfeld, um etwas Neues zu schaffen – und manchmal auch die Welt verändern zu können?
Sie brauchen vor allem Mut. Andererseits gibt es aber nicht “den Erfinder”. Man könnte somit die Frage stellen, ob ein spezielles Umfeld erforderlich ist, um Erfindertum zu ermöglichen. Not macht bekanntlich erfinderisch. Aber die Krisen, die wir heute bräuchten, um ins Handeln zu kommen, können wir uns nicht erlauben. Ich glaube, wir brauchen Handlungshelden, wo das Heldenhafte nicht im Ergebnis – der Erfindung – liegt, sondern in der Handlung selbst, in der Tat. Das, was wir tun, ist entscheidend und nicht die Glorifizierung des Ergebnisses.
Mannheim will die urbane Transformation aktiv gestalten und die Stadtgesellschaft in den Dialog einbeziehen. Ist das ein Erfolgsrezept oder schmort man zu sehr im eigenen Saft, wenn man die Akteure in einer Stadt zu sehr einbezieht und nicht auf Fachleute von außen baut?
Regionalität besitzt ein enormes Potenzial. Es braucht heute rebellische Bürgermeister, die es verstehen, dass Städte und Regionen Gestalter des Wandels sind. Nationalstaatliche Strukturen stehen eher für Bewahren und Verwalten. Die Stadt mit ihrer Identität und Zugehörigkeit ermöglicht es, dass Regionen eine Zukunft haben. München, Berlin, Hamburg, Frankfurt oder auch Mannheim haben es mit unterschiedlichen Herausforderungen zu tun und können jeweils einen eigenen Beitrag zum Wandel leisten. Somit sind es gerade die Bürger und Akteure einer Stadt und die Region, die eine Zukunftsgestaltung anregen können.
Wie sieht für Sie die Stadt der Zukunft aus?
Die Stadt wird urbaner. Als Schmelztiegel und Sammelpunkt. Die Stadt wird in Zukunft eine “Sinngebungsoase” werden. Wir haben während der Pandemie eine Billionen-Industrie lahmgelegt, die an der Kaffeemaschine stattfand – in den Büros der Firmen oder Kaffeehäuser in den Städten. Wir dachten, wir würden alle im „Home Office” sein und “New Work” betreiben. Wir brauchen aber die menschliche physische Begegnung. Das Home-Office finden wir heute auch auf Bali und Mallorca, weil wir überall “connected” sind. Auf Extremsituation folgt immer eine extreme Überreaktion, weil wir die zugrundeliegenden Wirkkräfte des Wandels nicht verstehen. Aktuell sehen wir demzufolge eine Rückkehr des Nationalen. Ich halte diese Entwicklung aber für temporär. Wir bewegen uns in Richtung von Städten und Ballungsgebieten, die unsere Welt formen. 600 bis 800 Regionen werden in Globalia den Takt vorgeben. Ich glaube, somit wird die Stadt wichtiger und zu einem Sammelpunkt menschlicher Begegnung und „erzwungenen“ Zufällen, die zu Fortschritt führen können.
Unser Innovations-Festival innomake! beleuchtet den „gesunden und mobilen Menschen in einer nachhaltigen Stadt“. Wie weit sind wir von dieser Utopie entfernt?
Was ist nachhaltig und für wen? Viel zu häufig suchen wir nach einer schnellen Lösung, anstatt die Probleme klarer zu definieren und zu hinterfragen. Die psychische Gesundheit leidet sowohl aus dem externen Druck aus einer ‚fatalen‘ Informationsgesellschaft voller Krisen sowie aus einem mangelnden Selbstbewusstsein, getrieben von einem Mangel an innerer Selbstwahrnehmung. Positive Ansätze, ein Glaube in und an Zukunft und eine Öko-Utopie halte ich für eine stärkere Wirkkraft als Krisen und Öko-Hysterie. Was die Mobilität betrifft, geht es für mich einzig und allein darum, bessere Produkte und bessere Erlebnisse zu entwickeln. Das Beispiel Tesla zeigt, wie es laufen wird. Tesla ist kein Elektroauto, sondern ein technologisches und attraktives Mobilitätskonzept, was die Menschen sich wünschen. Die Anstrengung für eine solche “Utopie” muss also darin liegen, einen Anreiz für Verhaltensänderung zu finden.
Sie sprechen selbst gerne davon, ganz bewusst Unterschiede und Widersprüche zu verbinden, um diese zu etwas neuem Ganzen verwachsen zu lassen – also eine Veredelung herbeizuführen. Unterschiede und Widersprüche sind in einer Stadt ja ganz normal, denn Städte leben von ihrer Vielfalt. Ist die Stadt deshalb auch ein idealer Ort für jede Art von „Veredelung“?
Ja, sicherlich. Dabei spielt auch der ‘Mit-Mensch’ eine wichtige Rolle. In der Stadt leben wir mit anderen Menschen zusammen und es geht um einen mit-menschlichen Umgang miteinander. Ist ein respektvoller Umgang vorhanden und der Wille zur Wahrheit und eine Offenheit für das Neue als Fundament für das organisierte Leben gegeben, kann durch Friktion auch Fortschritt erzielt werden. Es geht darum, eine hohe Ambigutitätstoleranz zu haben, bei der es nicht nur darum geht, Widersprüche zu ertragen, sondern ‘das Andere’, das Unbekannte, anzunehmen. Das setzt eine Offenheit für Veränderungen voraus. Die Stadt ist sicherlich mit all ihrer Vielfalt und Friktionen hierfür sehr gut geeignet.
Menschen leben ja an einem Ort, vielen von uns ist es aber auch wichtig, sich mit der Welt zu vernetzen, was ja auch immer einfacher wird. Werden wir deshalb zwangsläufig zum Weltbürger oder ist die VerORTung Voraussetzung für Zufriedenheit?
Wir brauchen eine stärkere Identität. Das finden wir heute im ‘Lokalen’. Gleichzeitig geht es um eine stärkere globale Verbundenheit. Nicht die “Unabhängigkeitserklärung” der Vereinigten Staaten sollte unser Vorbild sein, sondern eine Interdependenzerklärung der Menschheit. Wir müssen verstehen, dass es heute um Relationen geht: Ich bin, weil Du bist. Das Bindeglied ist eine Gesellschaft des Verstandes, in der wir alle nach positivem Fortschritt für die Menschheit streben und bessere Probleme wahrnehmen können. Für uns und auch für eine Stadt wie Mannheim.
Interview: Klaus Treichel
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Anders Indset live erleben:
26. Oktober beim innomake!-Abschluss-Symposium,
Port25, Mannheim, 18 Uhr
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Mehr Infos: innovationsfestival-mannheim.de