DAS URBANE KUNSTLABOR
„In Berlin sind die interessanten Areale schon längst entwickelt, aber in Mannheim gibt es noch viele Potenziale – wie hier auf Franklin.“
Philipp Morlock
Philipp, im Dokumentarfilm „Niemandsland“ über die Mannheimer Konversionsflächen gibt es von Dir dieses Zitat: „Ich habe Mannheim kennengelernt und fand es spannender als das Ruhrgebiet, wo ich eigentlich hinwollte …“
Ja, Mannheim ist meine Wahl-Heimat! Aufgewachsen bin ich aber in vielen Städten. Geboren in Pforzheim, habe ich die Schulzeit in Stuttgart und Düsseldorf verbracht, für mein Kunststudium bin ich nach Karlsruhe gezogen, zuvor habe ich in Freiburg eine Handwerkslehre gemacht. Danach wollte ich ins Ruhrgebiet, habe dann aber gemerkt, dass dort die Transformation fast abgeschlossen ist – und es in Mannheim dieses große Interesse für Veränderung und Entwicklung gibt.
Wie hast Du Mannheim für Dich entdeckt?
Ich kannte die Stadt bis dahin nur vom Namen her. Durch die Mannheimer Künstlerin Myriam Holme kam es zu einem ersten Besuch – und ich war sofort positiv überrascht.
Was hat Dich überrascht?
Diese typische Mannheimer Offenheit und Direktheit! Überall wird man sofort angesprochen, und wenn man vorschlägt, hier etwas Neues zu machen, trifft man auf offene Ohren und wird nicht gleich ausgebremst wie in vielen anderen Städten. In Berlin sind die interessanten Areale schon längst entwickelt, aber in Mannheim gibt es noch viele Potenziale, wie hier auf Franklin.
Auf der Konversionsfläche Franklin, die von den amerikanischen Truppen aufgegeben worden ist, bist Du Teil einer Gemeinschaft, die mit dem Projekt barac etwas Neues schafft. Was ist der Plan?
Das Projekt ist so vielfältig, dass es nicht einfach in wenigen Worten zu klären ist. barac ist Kunst, Labor und Soziales. Es ist temporäres Künstleratelier, aber auch Werkstatt, Manufaktur, Erdlabor, Farblabor und Küchenlabor. Es verbindet Inklusion und Wohnen, ist ein Ort der Gemeinschaft, der Bündelung und der Leichtigkeit; ein Ort der sozialen Kompetenz und der Relevanz, Impulsgeber und Ort der Gestaltung für Praxis und Theorie, Weitergabe und Verknüpfung, Dissens und Diskussion – und ist bei alldem offen, überdisziplinär und weltoffen, pragmatisch und utopisch.
Eine offene, interdisziplinäre Gemeinschaft: Einige von bald vielen barac-Bewohnerinnen und Bewohnern. Foto: Sebastian Weindel
Wie realisiert Ihr so ein komplexes Modell?
Da wir uns hier auf Franklin von Anfang an sehr engagiert haben, bekamen wir ein Vorkaufsrecht für ein sanierungsbedürftiges U-förmiges ehemaliges Kasernengebäude mit rund 4.000 Quadratmetern. Wir hatten allerdings kein Geld für den Kauf und hätten auch keinen Kredit dafür bekommen. Aber dafür bekamen wir einen Kontakt zur Trias-Stiftung, deren Satzungszweck es ist, Grund und Boden dem Spekulationsmarkt zu entziehen und mit Erbpachtverträgen an gemeinnützige Projekte zu vergeben. Zusammen mit der Künstlerin Myriam Holme und dem Architekten Andreas Handel haben wir einen Pachtvertrag abgeschlossen, renovieren auf eigene Kosten den Bau und vermieten die Wohnungen, um den Pachtzins zu finanzieren. All das wäre aber nicht möglich geworden ohne die vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit der Stadtentwicklungsgesellschaft MWSP und insbesondere mit Geschäftsführer Achim Judt, der das Projekt von Anfang an mit Rat und Tat begleitet hat.
Und wer wohnt und arbeitet jetzt hier?
Um der Größe des Hauses gerecht zu werden und einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, haben wir die Themen Kunst und Labor mit den Themen Inklusion und freies Wohnen verbunden. Entstanden ist ein Mehrgenerationenprojekt, das jetzt immer mehr Leute aus Mannheim und darüber hinaus anzieht. Schon die Hälfte der Wohnungen sind vermietet, später können hier mal 40 bis 50 Leute wohnen.
Der Mittelbau habt ihr als „offenen Bereich“ konzipiert. Was heißt das genau?
Im Mittelbau, den wir auch für Veranstaltungen vermieten, haben wir eine Küche mit gastronomischem Anspruch installiert, auch wenn wir hier keinen festen Vertrag mit einem Gastronomen haben. Wenn wir nach der Corona-Pandemie wieder öffnen, kann man hier gut Essen und Trinken – und dazu Kunstführungen buchen.
Wie wollt Ihr den Betrieb finanzieren?
Wir haben hier keine institutionelle Förderung und hangeln uns von Projekt zu Projekt. Wir wollten gerade mit den ersten Veranstaltungen beginnen, als es 2020 mit Corona losging. Zuerst war das ein Schock, dann haben es uns die Corona-Hilfen ermöglicht, das Projekt „Village is the new City“ im Programm „Kunst trotz Kunst trotz Abstand“ durchzuziehen: Wir haben Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die jeweils für vier Wochen hier gearbeitet und ausgestellt haben.
In den neu entstandenen Wohnungen auf Franklin leben bereits tausende von Menschen. Wie erlebst Du die Entwicklung auf dem Franklin-Gelände?
Im Januar 2016 haben wir erstmals die Schlüssel für das Areal bekommen. Damals war es noch sehr aufwändig, das alte große Tor zu öffnen, um zur eigenen Werkstatt zu kommen. Eines Tages hatten wir mal vergessen, das Tor zu schließen und beobachteten ein Phänomen Die Passanten haben sich nicht reingetraut, obwohl das Tor weit offen stand – der Respekt vor dem ehemaligen Militärareal war viel zu groß. Bevor dann die ersten neuen Bewohner kamen, hat die Natur das Gelände zurückerobert. Heute ist das Quartier schon fast erschlossen und wir hoffen, dass sich hier eine gute Gemeinschaft entwickelt und alles zusammenwächst. Viele Leute fragen sich ja noch, was wir hier eigentlich machen. Deshalb wollen wir uns öffnen. Schon jetzt kommen zwei Mal pro Woche Schulklassen in unsere Werkstätten und Ateliers.
„Zirkuläres Bauen“ ist heute ein wichtiges Thema der nachhaltigen Stadtentwicklung. Du hast das schon vor Jahren auf dem Turley-Areal erfolgreich praktiziert. Wie hat das alles angefangen?
Entstanden ist die Idee, als auf dem Gelände die alte Turleyhalle abgebrochen worden ist. Als Künstler arbeitet man ja meistens an Projekten, die nicht oder nur mangelhaft finanziert sind, da fehlt ständig das Geld. Gleichzeitig habe ich gesehen, wie die Bagger hier jeden Tag wertvolles Baumaterial plattgemacht haben. Da bin ich zu Konrad Hummel gegangen, dem ehemaligen Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft MWSP und der Geschäftsstelle Konversion und habe gesagt: Diesen Prozess muss man anders denken, denn viele Sachen kann man wiederverwenden und man braucht auch Material für das Zeitstrom-Projekt, das die Entwicklung und den historischen Hintergrund der Konversionsflächen dokumentiert.
Wie entstand die Idee für den „Franklin Store“?
Als ich gesagt habe, viele Sachen könne man auch wieder verkaufen und in den Markt zurückführen, hat man das erst mal nicht so ernst genommen. Doch dann ist es uns gelungen, innerhalb von wenigen Wochen eine komplette alte Autowaschanlage der Amerikaner vor den Abbruch zu retten und zu verkaufen. Daraufhin hat man mir das Vertrauen geschenkt und ich konnte viel wertvolles Material retten, das wir dann im Franklin Store angeboten und verkauft haben.
Also habt ihr eine neue Form von direktem „Recyling“ praktiziert?
Ja, denn die Abbruchunternehmen beschränkten sich damals darauf, recyclingfähiges Material zu sortieren und dann weiterzugeben. Ein Stahlträger wird also erst mal eingeschmolzen und dann nach zum Beispiel China verschifft, wo er neu hergestellt wird, bevor er zurück nach Europa kommt. Das ist nicht nachhaltig, solche Verwertungsketten sind überholt. Unser Ding ist es, alte Materialien entweder im Original oder in leicht modifizierter Form in einem neuen Kontext wiederzuverwenden.
Da gibt es beim barac-Projekt sicher Beispiele?
Ja, das Besondere ist, dass wir bei der Renovierung fast ausschließlich mit vorhandenen Materialien arbeiten konnten. Als auf Columbus die Bestandshäuser abgerissen worden sind, hat man auch viele alte hochwertige Türen mit hochwertigen Beschichtungen herausgenommen. Wir konnten sie nicht wieder als Türen verwenden, aber wir haben sie zu Wandfliesen zugeschnitten und heute bilden sie in unserer Küche eine wasserfeste Wandverkleidung. Die Abschnitte konnten wir im Bar-Tresen verbauen und auch die gesamte Beleuchtung stammt aus Abbruchobjekten.
„Kürzlich hat jemand zu mir gesagt: Du bist ein Pionier, der immer wieder Neues ausprobieren willst, Du ziehst doch bestimmt bald weiter in eine andere Stadt! Aber das glaube ich nicht – denn ich bin in Mannheim total glücklich.“
Philipp Morlock
Du machst ja auch noch das Projekt Einraumhaus – ein Teil des Projekts Alter am Alten Meßplatz und hast in der Neckarstadt gewohnt. Vermisst du manchmal das urbane Leben im Zentrum?
Hier draußen auf Franklin ist man schon ein bisschen in der Peripherie. Für Berliner ist es ganz normal, innerhalb der Stadt längere Wege zurückzulegen, aber für mich war das neu. Aber es hat auch sein Gutes: Wenn ich jetzt samstags in die Quadrate auf den Wochenmarkt gehe, fühle ich mich so ein bisschen als Stadt-Tourist – und das genieße ich sehr.
Du bist Wahl-Mannheimer geworden. Wirst du es auch zukünftig bleiben?
Kürzlich hat hat jemand zu mir gesagt: Du bist ein Pionier, der immer wieder Neues ausprobieren will – Du ziehst doch bestimmt bald weiter in eine andere Stadt! Aber das glaube ich nicht, denn ich bin in Mannheim total glücklich. Nur ein Problem gibt es aktuell: Wir haben hier keinen Platz für unsere Werkstätten, Aktuell sind wir auf der Suche nach Ersatzhallen, die wir zwingend brauchen. Also wenn jemand was weiß: Einfach mal anrufen oder selbst vorbeikommen!
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Fotos: Sebastian Weindel
Interview: Ralf Laubscher / LA.MAG