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„DIE MENSCHEN SIND HIER SEHR DIVERS“

Florence Brokowski-Shekete ist Schulamtsdirektorin in Mannheim, Autorin des Bestsellers „Mist, die versteht mich ja“, Inhaberin einer Agentur und neuerdings auch die Macherin des Podcasts „Schwarzweiss“. Wir haben mit Ihr über sensible Kommunikation, Diskriminierungserfahrung und die Stärken von Mannheims Schulen gesprochen.

„Über die Mannheimer Schulen kann ich sagen: Hier arbeitet ein Schulträger, der sich wahnsinnig für seine Schulen einsetzt.“

Florence Brokowski-Shekete

Hallo Frau Brokowski-Shekete, schön, Sie zum Feierabend hier in einem Café am Mannheimer Wasserturm zu treffen. Wie war denn heute Ihr Tag im Mannheimer Schulamt?

Ich habe vor allem Post gemacht – ich hatte ja keine Ahnung, wie viele E-Mails ein einzelner Mensch kriegen kann! Und jede E-Mail löst einen Vorgang aus. Mir schreiben Schulleitungen, Lehrkräfte und Eltern. Heute hat mir zum Beispiel ein Elternteil aus Neuseeland geschrieben, die Familie zieht bald hierher und hatte Fragen zum Schulsystem. Außerdem habe ich viel telefoniert und an einer Online-Sitzung mit der Stadt Mannheim teilgenommen.

Was haben Sie in der Sitzung besprochen?

Es ging darum, wie wir den Übergang von der Schule zum Beruf, beziehungsweise in die Ausbildung, gestalten können. Wir wollen Schüler und Schülerinnen dabei unterstützen, nach ihrem Abschluss gut in einen Beruf oder Weiterbildung zu starten. Das ist eins meiner Querschnittthemen, zu denen ich im ganzen Rhein-Neckar-Gebiet arbeite.

Was macht Sie stolz auf die Mannheimer Schulen?

Ich kenne viele Schulbezirke und bin im Rahmen meiner Querschnittsthemen – zum Beispiel auch Sprachförderung und Elternarbeit – in Mannheim tätig. Deshalb kann ich über die Mannheimer Schulen sagen: Hier arbeitet ein Schulträger, der sich wahnsinnig für seine Schulen einsetzt. Es geht der Stadt Mannheim nicht nur darum, dass es ein Gebäude gibt, in dem Tische und Stühle stehen, sondern es geht um Inhaltliches.

Ganz konkret: Was macht Mannheim besonders gut?

Vieles! Es gibt zum Beispiel in allen Mannheimer Grundschulen Sprachförderklassen. Da ist die Stadt sehr aktiv. Und die Schulleitungen leisten wunderbare Arbeit, die immer aufs Kind zentriert ist. Sie arbeiten gemäß ihrer Schülerklientel.

Gibt es auch Dinge, die sich ändern müssen?

Es gibt immer etwas zu tun und viele Themen befinden sich in der Entwicklung – zum Beispiel der Übergang zum Beruf. Aber ich kann ganz ehrlich sagen: Es gibt nichts, was mich wahnsinnig stört oder das unbedingt geändert werden müsste. Es ist gut!

 

Wie sieht in 10 Jahren die ideale Schule aus?

Ich wünsche mir, dass das Kind nach Hause kommt und die Schule keine Rolle mehr spielt. Keine Hausaufgaben, keine Nachhilfe, keine Vokabeln lernen. Sobald das Kind die Schule verlässt, ist das einzige Problem die leere Brotdose, die gewaschen und morgen wieder gefüllt werden muss. Eigentlich noch nicht mal das, denn in der idealen Schule gibt es Frühstück, Mittagessen und eine Kleinigkeit zwischendurch.

In Ihrem Buch „Mist, die versteht mich ja!“ beschreiben Sie einen Moment aus Ihrer Schulzeit: Ein Kind soll sich hinter einen Vorhang stellen und nur seine Arme oder Nase zeigen, die anderen Kinder müssen erraten wer es ist. Sie waren damals die einzige Schwarze in der Klasse, die Lehrer malten ihre Nase deshalb mit Kreide an. Wie denken Sie heute an diesen Vorfall zurück?

Ich denke nicht negativ an diese Geschichte zurück. Zum einen ist es eine Weile her und es war damals eine andere Zeit. Zum anderen habe ich keine Böswilligkeit bei meiner Lehrerin wahrgenommen, sondern nur eine gewaltige Hilflosigkeit. Die ganze Situation war schräg und krumm, unangenehm für alle Beteiligten.

Müssen Lehrkräfte geschult werden, sensibler mit Themen wie Diskriminierung umzugehen?

Unbedingt! Gerade hat mich ein Vater angeschrieben und berichtet, dass ein Lehrer sich abwertend geäußert hat. Ich denke, da ist das Vorgehen ganz klar. Die Schulleitung muss das zur Kenntnis nehmen und den Mut haben, diese Lehrkraft zu fragen: Was war da los, wie hast du das gemeint?

Und wenn die Lehrkraft den Vorfall nicht reflektiert?

Dann muss die Schulleitung deutlich machen: Ein solches Verhalten und Denken hat in meiner Schule keinen Platz! Ich würde mir jemand Externen holen, der mit dem gesamten Kollegium und der Lehrkraft eine Weiterbildung macht. Wenn die Lehrkraft sich weigert, würde ich sie für die Fortbildung freistellen – im Zweifelsfall übernehme ich selbst die Vertretungsstunde.

Sie haben einen Lehrauftrag an der Hochschule Mannheim zum Thema „Diskriminierungs-Sensible Pädagogik“ und das zentrale Thema Ihrer Agentur „FBS Intercultural Communication“ ist sprachliche Sensibilisierung. Was ist die Basis für eine sensible Kommunikation?

Drei Stichwörter: Perspektivwechsel, Wertschätzung und Ambiguitäts-Toleranz.

Perspektivwechsel heißt…

… ich muss mich in die Perspektive des anderen hineinversetzen und zumindest versuchen zu verstehen, warum er so reagiert, wie er eben reagiert.

Wertschätzung bedeutet…

Ich glaube, wir können einander alles Fragen. Aber wir müssen es durch ein Sieb aus Wertschätzung, Respekt und Wohlwollen gießen.

Ambiguitäts-Toleranz meint…

… letztlich muss ich in der Lage sein, die Meinung des anderen hinzunehmen. Zum Beispiel: Angenommen, jemand findet es völlig in Ordnung, fünf Mal am Tag Fleisch zu essen. Ich muss diese Einstellung nicht gut finden, aber letzten Endes muss ich es als andere Meinung tolerieren.

Was sollte man auf keinen Fall machen?

Relativeren und Banalisieren ist das schlechteste. Dann habe ich das Gefühl, der andere nimmt mich nicht ernst und ich muss mich auch noch rechtfertigen.

Gerade haben sie Ihren Podcast „Schwarzweiss“ mit Marion Kuchenny gestartet. Um welche Themen geht es da?

Im Podcast rede ich mit einer weißen Frau, Marion Kuchenny, und sie stellt mir typisch weiße Fragen, zum Beispiel nach meiner Herkunft. Vielen Menschen fällt es schwer zu akzeptieren, dass ich aus Buxtehude komme. Sie fragen noch einmal nach, wo ich denn wirklich herkomme, also „ursprünglich“. Marion und ich kommen darüber ins Gespräch und anstatt gleich die Rassismus-Keule zu schwingen, versuche ich zu erklären, warum eine Frage auch verletzend sein kann.

„In verschiedenen Mannheimer Vierteln gelingt es, multikulturell zusammen zu leben und dieses Zusammenleben auch zu genießen. Die Menschen sind hier sehr divers, und ich glaube, sie lieben das!“

Florence Brokowski-Shekete

In Mannheim leben über 170 Nationen. Vielfalt prägt seit Generationen die Mannheimer Stadtgesellschaft. Gelingt aus Ihrer Perspektive das interkulturelle Miteinander?

Ich denke schon. In verschiedenen Mannheimer Vierteln gelingt es, multikulturell zusammen zu leben und dieses Zusammenleben auch zu genießen. Die Menschen sind hier sehr divers, und ich glaube, sie lieben das! Zum Beispiel: In einem türkischen Café sitzt eine Vielzahl von unterschiedlichen Menschen selbstverständlich nebeneinander und findet das auch gut so! Als ich letztens mit einer Freundin da war, sagte sie zu mir: „Das ist hier wie Urlaub!“

Sie leben aktuell in Heidelberg und pendeln jeden Tag zur Arbeit nach Mannheim. Könnten Sie sich auch vorstellen in Mannheim zu wohnen?

Ich liebe Heidelberg. Aber eines würde mich schon locken: Ich würde wahnsinnig gerne am Mannheimer Luisenpark wohnen, in einer Wohnung mit Balkon von der aus man in den Park blickt. Dann würde ich im Sommer auf meinem Balkon sitzen, mit einem Erdbeermarmeladenbrötchen in der Hand, und auf den Trubel und das Treiben im Park gucken.

Interview: Lena Fiedler / LA.MAG

Fotos: Alexander Münch

Zur Person

Neben ihrer Tätigkeit als Schulamtsdirektorin in Mannheim ist Florence Brokowski-Shekete die Gründerin der Agentur FBS intercultural communication und seit 1997 als freie Beraterin und Coach tätig. Sie blickt auf eine über zwanzigjährige Seminar-, Beratungs- und Coachingerfahrung im Bereich Kommunikation, Führungskräfteentwicklung und kultureller Sensibilisierung zurück. Zu ihren Auftraggeber*innen und Teilnehmer*innen der Schulungs- und Beratungsangebote zählen Kunden aus Industrie und Wirtschaft, Medien, Hochschulen und Stiftungen, gemeinnützige Institutionen und Bildungseinrichtungen. 2018 hat sie ihr Angebot um ehrenamtliche Projekte für Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund ergänzt.

Durch ihren eigenen biografischen Hintergrund – als Kind nigerianischer Eltern in Hamburg geboren und einem in der Kindheit dreijährigen Aufenthalt in dem Land ihrer Eltern – sind ihr die Themen Intersektionalität, Interkulturalität und Integration sehr vertraut. In ihren verschiedenen Tätigkeitsbereichen ist ihr der respektvolle Umgang der Menschen, die Würde ihres Gegenübers, Klarheit in der Kommunikation und im Handeln von großer Wichtigkeit, verbunden mit Wertschätzung, Achtsamkeit und Empathie im gemeinsamen Prozess.

2020 veröffentlichte Sie ihre erste Autobiografie mit dem Titel „Mist, die versteht mich ja!“. Das Buch erreichte 2021 auf der Spiegel-Bestsellerliste Platz 11 in der Kategorie Sachbuch/Paperback und hielt sich sechs Wochen lang zwischen den Plätzen 4 und 17.