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„EINE DER GRÖSSTEN STÄRKEN DER POPAKADEMIE SIND DIE NETZWERKE UND DIE COMMUNITY“

Nach über 30 Jahren Musikproduktion, Konzerttourneen als musikalischer Direktor für Künstler wie Nena oder Samy Deluxe, nach 15 Jahren Musikfernsehen für Formate wie Voice of Germany oder Popstars wurde Derek von Krogh 2023 künstlerischer Direktor und Geschäftsführer der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim. Wir haben Derek zum Interview getroffen und blicken mit ihm in die Zukunft für junge Talente in der Musikindustrie.

Derek, Du lebst ein Leben für die Musik. Wie hat bei Dir alles angefangen?

Ich komme aus einem Musikerhaushalt, und mit vier Jahren habe ich angefangen, Klavier zu spielen. Zum Leidwesen meiner Eltern hatte ich dann früh einen klaren Wunschberuf: Ich wollte Konzertpianist werden und habe deshalb freiwillig jeden Tag stundenlang geübt. Nach einer Verletzung am Handwurzelknochen gehörte ich als Teenager dann zu den seltenen Pianisten, deren linke Hand deutlich besser als die rechte war – zum Konzertpianisten reichte das dann natürlich nicht mehr.

War das der Grund, Musikproduzent zu werden?

Durch meinen Vater, der in Frankreich für IBM in der Entwicklung gearbeitet hat, kam ich schon früh mit technischen Themen in Berührung. Ich begann, mich für elektronische Musik zu interessieren – für Synthesizer, Sampler und all die damals noch sehr neuen Möglichkeiten. Mit 13 war dann klar: Ich will Musikproduzent werden.

Wie begann Deine Karriere als Musikproduzent?

Als ich ihm Teenie-Alter war, ist unsere Familie von Paris nach Stuttgart umgezogen. Dort hatte ich später meine ersten Studiojobs. Zu Beginn waren dies vor allem – meist sehr laute – Lokalbands, und dann wurde über die Jahre die Künstlerkundschaft langsam prominenter und etwas leiser.

Ab 1994 warst du unter anderem als Keyboarder und später als musikalischer Direktor für Acts wie Nena aktiv – auch als Arrangeur und Produzent für Musik-TV-Formate von „Sing meinen Song“ über “Popstars” bis „The Voice of Germany“. Wie wichtig sind diese Erfahrungen?

Das ist überraschenderweise eine insgesamt sehr positiv zu bewertende Geschichte. Ich hatte das Glück, die langsam aber sicher steigende Qualität im deutschen Musikfernsehen – sowohl die musikalische als auch die ethische – aus der Nähe verfolgen zu können. Da hat sich auf dem Weg von Tanzdrills zu Halbplayback früher bis zu sorgsam arrangierten Liveperformances heute über die Jahre erstaunlich viel zum Positiven gewendet. Darüber hinaus fand ich aber schon immer die logistischen und auch musikalischen Leistungen hinter den Kulissen sehr beeindruckend, heute mit dem höheren Liveanteil noch deutlich mehr als damals.

Wie bist Du 2023 zur Popakademie gekommen?

Ich habe mich auf vollkommen regulärem Weg beworben – ganz klassisch mit dem Verschicken von PDFs per Email. Natürlich wird man für so eine Position von vielen Menschen ausführlich interviewt, aber warum genau die Wahl letztlich auf mich fiel, wurde einem offiziell nie mitgeteilt. Ich kann letztlich nur spekulieren, dass es neben vielen Jahren Erfahrung an meinen sehr unterschiedlichen Standbeinen Musikproduktion, Livetätigkeiten, Musikfernsehen und Programmierung von Musiksoftware lag.

Welches Bild hattest du zu diesem Zeitpunkt von Mannheim?

Die Söhne Mannheims – das war das einzige Bild, was ich von Mannheim musikalisch hatte, sage ich ganz ehrlich. Sonst wusste ich von Mannheim nicht viel, außer dass die Straßennamen wie Akkorde klingen: G7, A7 oder E7 – Google Maps liest sich da bisweilen wie ein Songbook. Ich muss aber zugeben: Ich kenne die Stadt auch heute immer noch nicht gut genug. Die Arbeit an der Popakademie lässt nicht viel Raum für Sightseeing.

„Ich wusste von Mannheim nicht viel, außer dass die Straßennamen wie Akkorde klingen: G7, A7 oder E7 – Google Maps liest sich da bisweilen wie ein Songbook.“

Derek von Krogh

Die Popakademie im Mannheimer Hafenquartier Jungbusch.

Als Du 2023 in Mannheim gestartet bist: Welches Bild hattest Du von der Popakademie?

Ich will in diesem Zusammenhang jegliche “Kritik” unter dieser Überschrift gelesen wissen: Es ist der absolute Knaller, was mein Vorgänger Udo Dahmen hier in Mannheim in zwei Jahrzehnten aufgebaut hat. Dennoch findet man als Neuzugang mit einem neuen Blick natürlich immer Potential. Ich sehe hier neben diverser Modernisierung der Lehrinhalte vor allem bei der Außendarstellung Potenzial. Eine Institution wie die Popakademie könnte für meinen Geschmack noch viel mehr Output haben. Ich bin sowieso der festen Überzeugung, dass Lehrinstitutionen jeder Art langfristig viel mehr tun müssen werden als bisher, um im medialen Gewitter noch Gehör zu finden. Da geht es auch um Demokratieschutz und um das sprichwörtliche große Ganze – aber natürlich bietet sich ein kompaktes und progressives Haus wie die Popakademie sehr als Pionierinstitution an.

Was hast Du nach deinem Start als erstes In Angriff genommen?

Der erste Job war es, ungefähr 500 Glückwunschmails zu beantworten. Im Ernst: das erste Jahr stand für mich unter den Überschriften Bewahrung des Etablierten und Laufen lernen, ohne allzu häufig zu stolpern. Es gab angesichts des sorgfältig austarierten Systems Popakademie auch keinen Anlass, den Besserwisser rauszuhängen. Die erste Reform war dann die Neuausrichtung der Global Music-Abteilung. Die war für Popakademie-Verhältnisse etwas traditionell aufgestellt – da ist jetzt das Thema digitales Producing fest integriert, und die Anknüpfungspunkte zu den westlich geprägten Inhalten sind fließender und offener gestaltet.

Welche Zukunftsperspektiven bieten sich aktuell den Studierenden?

Musikalische Berufe befinden sich in ständigem Wandel, und es wird weiterhin Aufgabe der Popakademie sein, möglichst nah am Puls der Zeit und dem technischen Status Quo zu bleiben. Stilistisch und künstlerisch gibt das Haus traditionell seinen Studierenden absichtlich nichts vor, außer einer Ermutigung zur eigenen, auffälligen Handschrift. Hier gab es in den letzten Jahren einen klaren Wandel des Kommerzialitätsbegriffs: Wo Kommerz früher noch bedeutete, Ecken und Kanten abzuschleifen, um die Werbekundschaft nicht zu erschrecken, geht es heute vor allem darum, in der Flut an Veröffentlichungen und Social Media Dauerfeuer aufzufallen. Auffallen wird nur, wer künstlerisch mutig genug ist, um sich vom Durchschnitt abzuheben. Das ist ein sehr schöner Anreiz, dessen Wirkung man in der neuerdings wieder deutlich frecher werdenden Popmusik schon ganz gut erkennen kann.

„In keiner der größten Städte Deutschlands gibt es etwas wirklich Vergleichbares wie die Popakademie. Das ist schon etwas Besonderes, was hier in Mannheim aufgebaut wurde. Ich darf so ungeniert damit angeben – denn es war ja nicht mein Verdienst.“

Derek von Krogh

Wie wichtig ist heute, auch live eine optimale Performance zu liefern?

Eine weitere Entwicklung, die die Popakademie auf dem richtigen Fuß erwischt: während man vor einigen Jahren noch den Verdacht hatte, der Fokus müsse von der Livemusik noch mehr zur Produktion verschoben werden, als es bei der Popakademie sowieso schon der Fall war, hat sich in den letzten Jahren doch gezeigt, dass insbesondere die Livebranche immun gegen schwierige Trends wie Streamingdumping oder generative KI ist. Die klassische Ausbildung am Instrument behält also ihren Stellenwert, und das ist auch gut so.

Welches Bild von der Popakademie und Mannheim als Musikstadt hat man aus deiner Sicht in Städten wie Berlin oder Hamburg?

Die Metropolen neigen natürlich dazu, eine Institution wie die Popakademie eher kleinzureden. Vielleicht sind sie ein bisschen neidisch, denn in keiner der größten Städte Deutschlands gibt es etwas wirklich vergleichbares. Das ist schon etwas Besonderes, was hier in Mannheim aufgebaut wurde. Ich darf da so ungeniert mit angeben, denn es war ja nicht mein Verdienst.

Was macht die Popakademie einzigartig?

Zu unseren größten Stärken gehören die Netzwerke, die hier entstehen, die Community, die hier existiert, mit vielen namhaften Köpfen, die hier studiert haben und inzwischen erfolgreich sind. Alle Dozierende sind auch im freien Musikmarkt erfolgreich. Das Haus ist meines Erachtens sicherlich auch führend im Bereich Musikproduktion, elektronisch wie traditionell Tontechnik-orientiert. Dieser so wichtige Bereich wurde in der Popakademie sehr viel früher als andernorts erkannt, und diesen Vorsprung spürt man heute. Das Haus generiert aber auch weiterhin eine sehr große, lebendige Bandszene, die für drei Großstädte reichen würde. Studierende können hier mit Performance, Produktion, Komposition und Pädagogik sich auf mehrere “Säulen” stellen, so dass sie für den schwer vorhersagbaren Musikmarkt später optimal aufgestellt sind. Und der Businessbereich, der immer etwas weniger auffällt, weil er per Definition nicht so Glanz und Glitter sein kann wie der künstlerische Bereich, kriegt seine Absolventen in der Regel von Branchengrößen von Universal bis Google direkt von der Ausgangstür weggefischt – da ziehe ich als Direktor der Glanz und Glitter Etage ausdrücklich den Hut vor der Arbeit der Kollegen.

Wie werden junge Talente heute auf die Popakademie aufmerksam?

Sicherlich vorrangig durch Mund-zu-Mund-Propaganda und Social Media. Wir haben sehr gute Bewerbungszahlen, dieses Glück ist nicht jeder Institution vergönnt. Bei Aufnahmeprüfungen können wir deshalb wählerisch sein, zumal wir als öffentliche Einrichtung ohne Studiengebühren nicht den Interessenskonflikt von privaten Institutionen haben, die sich über Studiengebühren finanzieren müssen. Für dieses Privileg bin ich sehr dankbar.

Es hält sich vor allem unter älteren Musikern hartnäckig die Überzeugung, Pop könne man nicht lernen. Wie sehen das junge Talente?

Es gibt in der Tat diesen typischen Gedanken, Pop können man nicht ausbilden. Pop soll gefälligst geniale Naivität sein! Das ganze üblicherweise gepaart mit einer Portion romantischer Verklärung, laut der die beste Musik unreflektiert direkt aus dem Bauch kommt und in einem Schlafzimmer produziert wurde. Der typische Hörer will gar nicht wissen, dass Popmusik heute wie damals irgendeine eine Form von Professionalisierung beinhaltet – aber die jungen Leute, die sich an der Popakademie bewerben, haben das natürlich begriffen. Und wir vermitteln ja auch absichtlich nur die Werkzeuge, die man braucht – diese magische Essenz der Popmusik, nämlich den jugendkulturellen Instinkt, was sie mit diesen Werkzeugen dann anfangen möchten, den fassen wir nicht an.

Was sind die strategischen Zukunftsprojekte der Popakademie?

Zu viele, um sie alle aufzuzählen. Inzwischen sind wir mit den Reformen und Modernisierungen einmal durch alle Studiengänge durch, jetzt kann sich der Blick langsam von innen wieder nach außen richten. Die Video-Fähigkeiten der Popakademie haben sich vervielfacht. Ein neues Videostudio öffnet endlich, nach langer Vorbereitung, seine Pforten. Das Haus hat ein elektronisches Orchester gegründet, dort spielen wir orchestrale Werke nur mit analogen Synthesizern, daran habe ich aktuell besonders viel Nerd-Freude. Weiterhin gehe ich rituell bei jeder Gelegenheit der lokalen Politik damit auf den Keks, dass die Popakademie eines schönen Tages mal noch etwas mehr Raum brauchen könnte – die hausinternen Konzerte sind nahezu immer an der Kapazitätsobergrenze, und im Studienbetrieb sieht es ähnlich aus. Und wir arbeiten an einer langfristigen rechtlichen Aufwertung unseres musikpädagogischen Zweigs als Antwort auf den Musiklehrermangel im Land. Viele neue Kooperationen mit verschiedenen Institutionen vom traditionellen Musicaltheater bis zur Softwarefirma sind im Aufbau oder bereits im Lehrplan gelandet.

Die bisherigen Formate “Zukunft Pop” und “Future Music Camp” wurden gerade zusammengeführt. Was ist der Plan?

Michael Herberger und ich betrachten es als ein Herzensprojekt, die verschiedenen Studienbereiche noch enger zusammenwachsen zu lassen. Eine der Konsequenzen ist die Entwicklung eines gemeinsamen Veranstaltungsformats, dass diese beiden Formate “Zukunft Pop” und “Future Music Camp” zusammenführt. Ziel ist es, die Synergien unserer Fachbereiche zu nutzen, um eine Plattform zu schaffen, die Fachkräfte und Talente von morgen mit der Branche vernetzt – sowohl im Musikbusiness als auch auf Seite der Künstlerinnen und Künstler.Kurz gesagt, ich werde wohl auch weiterhin die Stadt Mannheim nur im Schneckentempo erforschen können – dafür kenne ich aber die Parkplätze im Jungbusch bald alle beim Vornamen.

Mehr Infos: popakademie.de

Interview: Ralf Laubscher / LA.MAG

Fotos: Sebastian Weindel