NACHHALTIG… NACHHALTIG!
„Der richtige nachhaltige Weg ist es, die Lebenszeit der Produkte zu verlängern. Das geht mit guten, biozertifizierten Materialien, aber auch mit Re-Selling“
Andri Stocker
Mannheim setzt mit der Agenda 2030 gezielt auf die Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele der UN. Wie hat das Mannheim aus Deiner Sicht verändert?
Ob es die Agenda 2030 ist, oder das Festival innomake!, das sich mit dem Thema nachhaltige Innovation beschäftigt: Ich finde es total beeindruckend, wie engagiert Mannheim heute in diesen Bereichen ist. Ich würde sagen, dass sich alles in die richtige Bewegung bewegt. Aber ich wünsche mir auch, dass Projekte, die bislang erst diskutiert worden sind, mit Akteur*innen vor Ort in Zukunft noch konsequenter umgesetzt werden.
Mit Eurem Streetwear-Label Phyne wart Ihr Pioniere in der konsequenten Umsetzung des Nachhaltigkeitsgedankens. Heute wirbt aber fast jedes Unternehmen mit dem Etikett „Nachhaltig“. Ist das nicht oft Etikettenschwindel?
In der Modebranche hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan. Viele Labels haben das Thema Bio-Produkte aufgegriffen, aber leider werden Zertifizierungen heute immer seltener genutzt, weil sich Unternehmen vor den hohen Kosten scheuen. Insofern sind viele Produkte eben „nur“ bio – eine zuverlässige Aussage über die Nachhaltigkeit ist das nicht. Positiv ist, dass es heute ein größeres Verständnis für die Themen und Recycling und Re-Use gibt – aber leider nicht immer dafür, das Recycling nicht der erste, sondern der letzte Schritt sein muss. Es gibt große Modefirmen, die tatsächlich ungenutzte Waren recyclen.
Was ist der richtige Weg, um Kleidung wirklich nachhaltig zu machen?
Der richtige nachhaltige Weg ist es, die Lebenszeit der Produkte zu verlängern. Das geht mit guten, biozertifizierten Materialien, aber auch mit Re-Selling. Da gibt es heute interessante technische Lösungen, um Produkte wiederzuverkaufen.
Macht Ihr das bereits?
Weil sich Geschmack ändert, Qualität aber bleibt, haben wir bei uns das Thema „Pre Loved“ eingeführt. Wir geben Phyne-Styles ein zweites Leben, indem wir unseren Kundinnen und Kunden eine digitale Plattform zum An- und Verkauf getragener Teile bieten.

Das Phyne-Team bei der Arbeit – im Label-Office auf dem Mannheimer Turley-Areal
Streetwear von Phyne findet man bei Amazon eher selten. Das unterscheidet Euch von anderen Mannheimer E-Commerce-Modemarken wie Snocks, die gezielt auf dieser Plattform Millionenumsätze schaffen.
Aufgrund unser Produktqualität bewegen wir uns in einer Preisklasse, die auf Amazon nicht sehr konkurrenzfähig ist. Snocks hat da auch grundsätzlich mehr Know-How, die sind auf diese Art des Vertriebs spezialisiert. Ich denke, das ist aber auch ein Generationen-Ding. Johannes Kliesch und sein Team sind weit jünger als wir und sind mit Amazon aufgewachsen. Vielleicht sind wir zu langsam und zu old school, aber wir haben halt auch einen anderen ästhetischen Anspruch, da passt die Amazon-Welt einfach nicht so gut zu uns. Wir haben unseren eigenen Stil – und dem bleiben wir treu.
Ähnlich wie bei Snocks macht ein immer größerer Teil Eurer Aktivitäten aber Beratung und Dienstleistungen für andere Firmen aus. Unternehmen interessieren sich vermutlich für Euer Know-How in Sachen Nachhaltigkeit?
Firmen unterschiedlichster Art, die sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben, kommen heute auf uns zu und fragen zum Beispiel ganze Kollektionen für ihre Mitarbeiter an, weil Ihnen selbst die Expertise fehlt. Wir bieten den Unternehmen aber nicht nur die Produktion, sondern auch ein ganzheitliches Portfolio an, also auch Markenentwicklung, Lagerung, Vertrieb, Versand- und Retourenmanagement– wir sind also eine komplette One-Stop Agency für Nachhaltigkeit aus einer Hand. Zu unseren Kunden zählen unter anderem der Condé Nast-Verlag und das Vogue-Magazin, aber auch eine sehr bekannte deutsche Versicherung und viele andere mehr.
Wie soll sich Phyne in Zukunft entwickeln?
Wir entwickelt Nachhaltigkeits-Lösungen für unterschiedlichste Marken und können am Ende auch messen, wieviel CO2 man dadurch zum Beispiel einspart. Wir werden die Zusammenarbeit mit unseren Partnern stärker ausbauen und als Eigenmarke einen Schritt zurücktreten. The Art of Less sozusagen!
Ihr legt den Fokus auf das Thema Minimalismus. Warum?
Wer minimalistisch lebt, konsumiert auch weniger – das hängt zusammen. Aber ebenso wichtig ist, dass wir mit Phyne Produkte schaffen, die wir selbst gerne anziehen, weil sie zu uns passen. Um authentisch zu bleiben, müssen unsere Sachen also erst mal uns selbst gefallen – und das tun sie!
Von wegen „The Art of Less“: Beim Gründen siehst du das offenbar anders – oder warum hast du nach Phyne jetzt auch noch HiddenGyms gegründet und betreibst nebenher die E-Commerce-Marke Kräutergott?
Sehr gute Frage, das drückt ein bisschen den Finger in die Wunde. Von der Energieaufteilung ist das nicht einfach, aber alle drei Unternehmen sind emotional wichtig für mich. Kräutergott haben wir schon 2015 gegründet – es ist ein Familienprojekt und ich könnte es nicht mit meinem Herzen vereinbaren, das aufzugeben.
Was ist die Geschichte hinter Kräutergott?
Der Ursprung der Geschichte ist meine Urgroßmutter. Sie hat in Grindelwald im Berner Oberland gewohnt und war mit meiner Mutter immer auf den Almwiesen unterwegs, um Wildkräuter zu sammeln. Mit diesem Kräuterwissen hat meine Mutter vor rund 20 Jahren eine Pflanzenheilkunde-Ausbildung gemacht und Wildkräutermischungen hergestellt – für‘s Kochen, aber auch zur Aromatherapie und für Beauty-Produkte. Irgendwann hat sie damit begonnen, diese Kräutermischungen zu verkaufen. Als ich diese im Freundeskreis vorgestellt habe, habe ich gemerkt: Alle wollen das haben, denn die Kombi von geschmacksintensiven Wildkräutern und bestem Meersalz ist einfach unglaublich lecker.
Wie kannst Du Kräutergott „nebenher“ betreiben – ihr seid doch ziemlich erfolgreich mit Eurem Online-Shop?
Kräutergott ist für mich tatsächlich ein Ausgleich, denn es ist Teil meiner Freizeit: Abends und am Wochenende steh‘ ich mit meinen Schwestern, meiner Mutter und meiner Partnerin in der Produktion und wir mixen, mahlen, füllen ab, etikettieren, verpacken. Das macht mir Spaß, denn es gibt mir Ruhe und ich kann Zeit mit meiner Familie verbringen. Wenn ich doch mal alleine arbeite, höre ich nebenher Podcasts oder samstags Fußballradio.
Und welches Ziel verfolgt Ihr mit Kräutergott?
Die Idee ist es, eine Welt rund um das Thema Kräuter zu bauen und dabei arbeiten wir nach dem Kräutergott-Prinzip: All unsere Produkte können uns sollen erst probiert werden. So vermeiden wir unbenutzte Mischungen in all unseren Gewürzschränken. Erst dann motivieren wir unsere KundInnen zum Kauf von Gläsern und – im letzten Schritt – kostengünstigere Nachfüllpackungen. So schonen wir den Geldbeutel unserer KundInnen und tun gleichzeitig etwas für die Umwelt.
„Mannheim liegt wirklich perfekt für leidenschaftliche Roadbiker und Läufer wie mich.“
Andri Stocker
Langsam entwickelst Du dich zum Serien-Entrepreneur. In Mannheim hast Du jetzt auch noch das Unternehmen HiddensGyms gegründet. Was ist die Idee?
Ich bin Triathlet und habe schon immer von einem eigenen Fitness-Studio geträumt, um mein Training zu verbessern. Da ein eigenes Studio sehr teuer ist, habe ich zusammen mit zwei Freunden, u.a. dem Gründer des Fitness-Equipment-Herstellers Suprfit, das HiddenGyms-Konzept entwickelt. Nicht erst mit der Coronakrise haben wir gemerkt, dass Sport immer mehr mit Stress verbunden ist, unter anderem mit langfristigen Mitgliedschaften und überfüllten Studios. HiddenGyms bietet Dir jetzt ein perfekt ausgestattetes Studio, dass Du ohne Vertrag einfach für eine oder mehrere Stunden anmieten kannst: Mal für dich mit Freunden oder Familie, mal mit lauter, motivierender Musik und an einem anderen Tag ganz in Ruhe für dich alleine.
Das erste HiddenGyms-Studio habt ihr in Heidelberg eröffnet, die nächsten folgen bald in Berlin. Wann ist Mannheim dran?
Sobald wir es uns leisten können, denn Mannheim ist unsere Homebase. Wir suchen gerade eine ideale Location. Wer einen geeigneten Ort, am besten zentral in einer Wohngegend wie Schwetzingervorstadt oder Neckarstadt kennt – bitte direkt bei uns melden!
Wenn Du mal nicht in Deinem eigenen HiddenGyms-Studio trainierst? Wo und wie trainierst Du für deine Triathlons?
Mannheim liegt wirklich perfekt für leidenschaftliche Roadbiker und Läufer wie mich. Von hier drehe ich meine Runde am Neckar entlang raus nach Heidelberg in den Odenwald rein oder die Bergstraße – am Wochenende schon mal bis zu 120 Kilometer. Nur mit den Schwimmbädern ist es hier im Winter etwas schwierig. Eine 50m-Bahn sucht man leider vergebens.
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Fotos: Sebastian Weindel
Interview: Ralf Laubscher / LA.MAG