URBANE ZUKUNFT FÜR DIE KIDS!
Birgit Schreiber, die Kinderbeauftragte der Stadt Mannheim sorgt für kindgerechte Stadtgestaltung – und mit Jürgen Brecht vom Fachbereich Jugendamt und Jugendförderung für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Entscheidungsprozessen. Wie in Mannheim UN-Kinderrechte umgesetzt werden und wie Nachhaltigkeit, Zukunft und Kinderfreundlichkeit zusammenhängen, erklären die beiden im Interview.
Frau Schreiber, schon seit vielen Jahren gestalten Sie Mannheim zu einer kinderfreundlichen Stadt. Wo stehen wir aktuell?
Birgit Schreiber: Ich arbeite jetzt schon seit mehr als 25 Jahren an diesem Thema und in dieser langen Zeit ist sehr viel Positives in Mannheim passiert. In vielen Bereichen sind wir heute sehr gut bis herausragend aufgestellt.
Nimmt Mannheim als besonders kinderfreundliche Stadt eine Pionierrolle ein?
Birgit Schreiber: Ich denke, dass wir im Bereich der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen tatsächlich eine Pionierrolle einnehmen und hier besonders gut aufgestellt sind. In Mannheim ist es zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass wir für und mit Kindern und Jugendlichen planen. Wir haben in den Stadtentwicklungsprozessen strukturell verankert, dass sie ihre Interessen einbringen können und ihren Raum zur Gestaltung bekommen.
Wie funktioniert das ? Wie erfahren Sie, welche Bedürfnisse Kinder und Jugendliche für den urbanen Raum der Zukunft haben?
Birgit Schreiber: Als ich mit meiner Arbeit angefangen habe, haben sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Verwaltung noch gefragt, wie man mit Kindern kommuniziert, um zu erfahren, was Sie von ihrer Stadt erwarten. Dieses Kommunikationsproblem haben wir mit systematischer Methodik sehr gut aufgearbeitet. Unser Grundprinzip ist es heute, direkt vor Ort Streetwork zu machen und mit den Kindern und Jugendlichen zu sprechen – und dezentral mit den Menschen und Multiplikatoren, die mit ihnen zu tun haben. Konkret gehen wir dafür in die Stadteile, zum Beispiel in die Schulen oder in die Sportvereine. Da haben wir unsere Zielgruppen dann an ihren vertrauten Orten versammelt und wir integrieren Erwachsene, denen die Kinder und Jugendlichen vertrauen, weil sie wissen, dass sie ihre Interessen verstehen und vertreten.
Und wie führt das zu Beteiligung an Stadtentwicklungsprozessen?
Birgit Schreiber: Diese offene, direkte Kommunikation vor Ort führt konkret dazu, dass Kinder und Jugendliche in Beteiligungsprozessen heute sehr selbstbewusst auftreten. Sie haben keine Scheu, ihre Interessen gegenüber Erwachsenen zu vertreten und können auch kritischen Fragen standhalten. Dass dieses neue Selbstbewusstsein auch längst in der Breite angekommen ist, zeigt sich heute immer wieder bei Projekten in den Stadtteilen – und das ist aus meiner Sicht ein riesiger Erfolg.
Können Sie das an einem Beispiel beschreiben?
Jürgen Brecht: Nehmen wir als Beispiel mal den Mehrgenerationen-Spielplatz an der Plankstadter Straße im Mannheimer Stadtteil Rheinau. Da waren wir vor Ort in den Vereinen und den Orten, wo Kinder und Jugendliche sich aufhalten und haben gefragt, wie sie sich so einen Spielplatz der Zukunft vorstellen. Die Ideen und Wünsche haben wir aufgenommen und weitergeleitet an die zuständigen Planerinnen und Planer. Dabei achteten wir darauf, dass keine Anliegen übersehen oder vergessen werden, deshalb gab es auch immer Rückkopplungsgespräche, um im Gestaltungsprozess noch Optimierungen vorzunehmen.
Birgit Schreiber: Das Prinzip, mit dezentralen Strukturen zentrale Themen zu bearbeiten, darin haben wir in Mannheim jetzt schon sehr viel Übung. So gelingt es uns, auch Kinder zu beteiligen, die sonst nicht so leicht erreichbar sind. In der Östlichen Unterstadt haben wir über 10 Jahre lang mit Kindern und Eltern für eine Neugestaltung des Lameygartens gekämpft. Das war ein zähes Ringen, aber jetzt ist eine Öffnung von allen Seiten gegeben und es wurde ein vielseitiger Platz für alle geschaffen, wo man nicht wie früher nur über Hundekot stolpert. In der Zusammenarbeit mit den Menschen entstand mehr soziale Sicherheit und Lebensqualität für alle.
Und für jedes Projekt entwickeln Sie neue Beteiligungsstrukturen?
Birgit Schreiber: Jedes Projekt ist ein Unikat. Jeder Ort muss neu untersucht werden: Wer lebt da, wer arbeitet da – und entsprechend laden wir die Menschen und natürlich die Kinder und Jugendlichen zur Mitarbeit ein. Dafür bauen wir immer spezielle Projektgruppen auf, denn die Akteurinnen und Akteure vor Ort sind immer sehr unterschiedlich. Bei der Entwicklung des Glückstein-Parks im Stadtteil Lindenhof waren zum Beispiel Menschen involviert, die sich aufgrund ihres Bildungsgrads sehr gut artikulieren konnten, bei der Entwicklung des Spielplatzes am Neumarkt in der Neckarstadt-West war das schon wesentlicher schwieriger.
„Jedes Projekt ist ein Unikat. Jeder Ort muss neu untersucht werden: Wer lebt da, wer arbeitet da – und entsprechend laden wir die Menschen und natürlich die Kinder und Jugendlichen zur Mitarbeit ein.“
Birgit Schreiber, Kinderbeauftragte der Stadt Mannheim
Sind Ihre Zielgruppe eigentlich nur Kinder oder auch Jugendliche?
Jürgen Brecht: Der Begriff „Kinderfreundlichkeit“ ist tatsächlich etwas unklar, unsere Arbeit dient nicht nur Kindern von 0 bis 14 Jahren, sondern auch jungen Menschen bis 18 Jahren. Wir orientieren uns hier an der Definition der UN-Kinderrechtskonvention. Unsere Zielgruppen sind also Kinder und Jugendliche.
Viele Jugendliche kommunizieren heute über soziale Medien. Nutzen Sie diese Kanäle?
Jürgen Brecht: Wenn wir die Möglichkeit der Beteiligung nur über Pressemitteilungen kommunizieren würden, dann kommen zu den Versammlungen nur die, die immer kommen: die Erwachsenen. Es ist heute sicher nicht einfach, Jugendliche zu erreichen. Soziale Medien sind neue Wege, über die wir Informationen streuen können, aber sie ersetzen nicht das wichtige physische Face-to-Face-Gespräch. Das ist ja genau der Vorteil unserer Beteiligungskonzepte: Sie sind sehr niederschwellig. Vor Ort in den Stadtteilen erreichen wir mehr Jugendliche als nur durch soziale Medien.
Was sind die Fokusthemen des Aktionsplans zur kinderfreundlichen Kommune Mannheim?
Birgit Schreiber: Die zentrale Zielsetzung ist es, nachhaltig dafür zu sorgen, dass bei der Durchführung von städtischen Programmen und Projekten UN-Kinderrechte mit bedacht und entsprechend berücksichtigt werden. Der Aktionsplan besteht aus mehreren Bausteinen. Um nur ein paar der wichtigsten zu nennen: Da geht es um die Einrichtung eines Beteiligungshaushaltes für Kinder und Jugendliche, die Konzeptentwicklung von dezentralen Lernräumen und Lerninseln, die Neustrukturierung bewegungsfördernder Angebote bis hin zur Umsetzung des Mannheimer Masterplans Mobilität oder des Lokalen Green Deals oder der kindgerechten Nachnutzung des BUGA-Geländes.
Jürgen Brecht: Ein wesentlicher Teil des Aktionsplans ist auch die Schulung der städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir für das Thema sensibilisieren wollen. Entscheidend ist es dabei, sich zu öffnen und Stadtplanung mal ganz neu zu denken.
„Die zentrale Frage muss deshalb sein: Wie können wir Dinge und Projekte in Zukunft mal ganz anders aussehen lassen, damit sie für uns alle noch attraktiver werden.“
Jürgen Brecht, Fachbereich Jugend und Gesundheit
Wie sieht dieses neue Denken genau aus?
Jürgen Brecht: Wir reden ja sehr viel über Plätze, denen man normalerweise spezifische Funktionen zuordnet: Wie dem Spielplatz, der primär für Kinder da sein soll, Fußgängerzonen primär für Shopper, Parkhäuser nur für Autofahrer und so weiter. Mir geht es darum, von diesem Denken wegzukommen, um einen ganzheitlicheren Ansatz zu verfolgen. Ein Beispiel: Auf dem Parkhaus am Stadthaus N1 in der Mannheimer City haben Jugendliche das Parkhausdeck ganz oben für sich entdeckt: Ein Rückzugsort mit tollem Blick über die ganze Stadt. Vielfältig nutzbare Orte mit Potenzial wollen wir in Zukunft schaffen.
Das setzt ein anderes, innovatives Planungs-Denken voraus. Ist das in der Praxis immer umsetzbar?
Jürgen Brecht: Ja, wenn wir Kinder und Jugendliche, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung dazu anregen, Dinge ganz neu zu betrachten und zu denken, um neue Horizonte zu öffnen. Das aktuelle Problem ist ja: Wenn ich Jugendliche frage, wie sie sich ihre Schule der Zukunft vorstellen, dann reflektieren sie meistens zunächst das, was sie kennen: ein Schulhaus mit einem langen Flur, wo links und rechts Klassenzimmer abgehen. Wenn ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung nach dem Rathaus der Zukunft fragen würde, würde wahrscheinlich auch ein Gebäude beschrieben werden, wie man es bereits kennt. Die zentrale Frage muss deshalb sein: Wie können wir Dinge und Projekte in Zukunft mal ganz anders aussehen lassen, damit sie für uns alle noch attraktiver werden?
Birgit Schreiber: In der Praxis funktioniert dieser Ansatz auch schon sehr gut. Schon vor einigen Jahren haben wir im Rott im Stadtteil Käfertal einen Spielplatz für und mit Mädchen gestaltet – und dabei genau herausgearbeitet, was Mädchen sich für einen Wohlfühlraum der Zukunft wünschen. Statt einen normalen Spielplatz zu bauen, wurden dann unter anderem Skulpturen entworfen, auf denen mit technischer Hilfe von Künstlerinnen sehr kreative Mosaike aufgebracht wurden mit einem klaren Ergebnis: Der Platz wird nicht nur genutzt, sondern geliebt!
„Ich wünsche mir, dass auch Erwachsene damit beginnen, ihre Stadt mal mit Kinderaugen zu sehen und überlegen, wie man Plätze, Straßen, Orte und Stadtteil inspirierend gestalten kann.“
Jürgen Brecht, Fachbereich Jugend und Gesundheit
Was macht Mannheim als kinderfreundliche Kommune deutschlandweit einzigartig?
Birgit Schreiber: Neben der beschriebenen Beteiligungsangebote sicher auch dieses typische Miteinander unterschiedlichster Kulturen und Nationalitäten. Mit dieser multikulturellen Struktur nicht nur klarzukommen, sondern sie bewusst zu fördern, das ist für eine Stadt schon eine besondere Haltung und Leistung.
Wie würden Sie einer Familie, die auf der Suche nach einer kinderfreundlichen Stadt ist, Mannheim beschreiben?
Jürgen Brecht: Wenn wir Familien für Mannheim begeistern wollen, dann macht es auf jeden Fall Sinn, den Begriff „Kinderfreundlichkeit“ vom Thema „Familienfreundlichkeit“ zu unterscheiden. Kinderfreundlichkeit hat eine andere Qualität, weil die Bedarfe der unter 18jährigen im Fokus stehen. Kinderfreundliche urbane Angebote wie Spielplätze oder Orte der Gemeinschaft sind nur ein Teilaspekt. Für junge Familien sind Themen wie vielseitige Betreuungsangebote, ein gutes Wohnangebot, Mobilität durch eine gute Verkehrsinfrastruktur oder auch Sicherheit wichtig. Wenn Erwachsene ihre Kinder mit einem guten Gefühl rausgehen lassen können, weil sie wissen, dass die Kids sicher sind, sie Neues ausprobieren können und Inspiration finden – dann sind wir hier in Mannheim nicht nur familienfreundlich, sondern auch kinderfreundlich. Ich persönlich würde Familien auf der Suche nach einer idealen Stadt auch beschreiben, dass in Mannheim eine hohe Generationenfreundlichkeit gegeben ist. Wir entwickeln hier öffentliche Freiräume, wo Menschen sich im urbanen Raum gerne aufhalten – Kinder und Jugendliche ebenso wie Erwachsene und Senioren.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Stadt?
Jürgen Brecht: Dass auch Erwachsene damit beginnen, ihre Stadt mal mit Kinderaugen zu sehen und überlegen, wie man Plätze, Straßen, Orte und Stadtteil inspirierend gestalten kann.
Birgit Schreiber: Ich wünsche mir, dass uns allen noch bewusster wird, dass wir mit moderner Stadtplanung und Beteiligungsformaten urbane Räume für Kinder und Jugendliche baulich optimal gestalten können – das soziale Miteinander im urbanen Raum aber letztendlich entscheidend ist für den Charakter unserer Stadt. Ein Straßenzug muss nicht unbedingt schön sein, aber wenn die Leute hier generationenübergreifend ein gemeinschaftliches Miteinander pflegen, dann ist das ein hoher Wert. Meine Erfahrung ist: Kinder und Jugendliche legen gar nicht so viel Wert darauf, ob ein urbaner Ort möglichst modern hip gestaltet ist. Ihnen ist es viel wichtiger, dass sie sich dazugehörig fühlen dürfen und sie selbst mit ihrem eigenen sozialen Umfeld mitgestalten können. Dieses Gefühl des Miteinanders ist unser primäres Ziel.
Eines der jüngsten Stadtentwicklungsprojekte für Kinder und Jugendliche ist der Glücksteinpark im neuen Glücksteinquartier. Eine besondere Herausforderung?
Birgit Schreiber: Ja, das kann man sagen, obwohl dieser Glückstein-Park natürlich eine Luxusvariante darstellt. Aufgrund des hochwertigen Umfelds standen hier ausreichend Mittel zur Verfügung, so dass wir aus dem Vollen schöpfen konnten. Das Problem war, dass die Kinder vor Ort sich die Erhaltung des früheren Bolzplatzes wünschten, was aber aufgrund der engen Bebauung nicht möglich war. Mit allen Beteiligten haben wir dann den Kompromiss entwickelt, eine neue großzügige Bolzfläche zu integrieren. Bemerkenswert ist dieser Park aber auch durch seine inklusive Struktur: Für Menschen mit Behinderung ist hier die Nutzung problemlos möglich und darüber hinaus bietet der Ort mitten in der Stadt extrem viel Grün und liegt optimal zentrumsnah, das ist wichtig für die gesamte Stadt.
Auch bei der Gestaltung des Alten Messplatzes in der Neckarstadt waren Sie beteiligt. Heute wird der Platz von unterschiedlichsten Gruppen intensiv genutzt, unter anderem von Skatern. Ein Zufall?
Birgit Schreiber: Ich frage mich schon seit Jahren, warum ich immer wieder gern mit Skatern und BMXern arbeite. Das ist die Zielgruppe, die für sich immer wieder die Stadt zurückerobert und für sich umnutzt. Den Skatepark Schönau haben wir mit der Skaterinitiave vor Ort erarbeitet, da haben sie bewiesen, wie wichtig ihr Know-how ist. Diese jungen Leute wissen genau, was es braucht. Im Nachhinein ärgert es mich nur, dass es mir auf dem Alten Messplatz nicht gelungen ist, die Bänke mit Stahlkanten auszustatten – da würden sich heute nicht nur die Skater, sondern auch die Bänke drüber freuen.
Jürgen Brecht: Dafür ist der Platz perfekt erreichbar. Mobilität ist ein ganz wichtiges Thema, denn wir wollen Stadtteile, die so viele Angebote haben, dass Kinder und Jugendliche vor Ort alles finden, was sie suchen und nicht ausweichen und pendeln müssen – das macht echte Kinderfreundlichkeit aus.
Welche Chancen bieten die neuen Stadtquartiere auf den Konversionsflächen?
Birgit Schreiber: Auf den Konversionsflächen ist die Entwicklungsgesellschaft MWSP federführend, aber trotz unserer geringen Personalressourcen versuchen wir so gut wie möglich, die aktuellen Prozesse zu begleiten. Neue Stadtteile wie Franklin haben sehr viele gute Ansätze, aber es fehlt auch noch einiges. Die Erreichbarkeit mit dem Fahrrad und die Vernetzung der einzelnen Quartiere ist da beispielweise ein wichtiges Zukunftsthema. Die neuen Quartiere sind aber eine willkommene Gelegenheit, um neue stadtplanerische Ideen auszuprobieren – und sie eventuell in bestehende Stadtteile auszudehnen.
Kann die BUGA 23 in Ihrem Sinne ein positiver Turbo für die Stadtentwicklung werden?
Jürgen Brecht: Wir sind da gerade mitten im Entwicklungsprozess. Unser Fokus ist aber weniger die Veranstaltung im Jahr 2023 als vielmehr die Nachnutzung des BUGA-Geländes. Spannend ist also die Frage, was im Anschluss an die Bundesgartenschau passiert. Wir arbeiten an einer Beschlussvorlage mit der Idee eines Zentrums für Jugendliche – was zu einem offenen Experimentierfeld zum Thema Nachhaltigkeit und Umwelt werden soll. Für die BUGA selbst planen wir einen „Kindergipfel“ – eines unserer Beteiligungsangebote, das wir alle vier Jahre organisieren. Im vorletzten Jahr haben wir diesen Gipfel in der Kunsthalle veranstaltet. 2023 werden wir bei der BUGA noch intensiver als je zuvor Kindern und Jugendlichen eine Plattform bieten.
Birgit Schreiber: Die BUGA ist definitiv ein Gestaltungsturbo für Freiräume. Das ist ein Riesengewinn für Mannheim und wir erhoffen uns, dass nachhaltig Rückzugsräume für Kinder entstehen, wo einfach mal gemacht werden darf, ohne dass gleich alles gleich wieder weggeräumt werden muss.
Betrachten wir das Thema mal aus der Sicht von Erwachsenen: Wie hängen eigentlich die Themen Kinderfreundlichkeit und Nachhaltigkeit zusammen?
Jürgen Brecht: Kennen Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Klimaschutzzielen der Bundesregierung? Die Regierung hat sich diese Ziele gesetzt und in Gesetze gegossen. Gegen dieses Vorgehen haben viele Jugendliche, unter anderem aus dem Umfeld der Fridays-for-Future-Bewegung geklagt, weil sie sagen: das reicht nicht. Sie nehmen dabei Bezug auf den Artikel 20 im Grundgesetz, dass der Staat Verantwortung für künftige Generationen übernehmen muss. In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht klargemacht, dass der Staat und damit auch wir als Stadtverwaltung eine besondere Verantwortung für nachkommende Generationen tragen. Und dann gibt es auch noch die UN-Kinderrechtskonvention: Da steht drin, dass alles, was wir als Kommune planen, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen hat. Wir müssen uns also immer wieder bewusst machen, was das für unser konkretes Handeln bedeutet. Beim Thema „Kinderfreundlichkeit“ geht es deshalb in erster Linie darum, ein Gespür dafür zu entwickeln, welche Entscheidungen wir da jeden Tag treffen und festzustellen, ob wir das Wohl junger Menschen dabei richtig in den Blick nehmen. Das ist also ganz klar eine Frage der Haltung.
Am Ende eine grundsätzliche Frage: War es ein typischer Fehler, dass wir dieses Interview ohne die Beteiligung von Kindern geführt haben?
Jürgen Brecht: Zunächst mal ist es wichtig, dass wir uns als Erwachsene klar machen, welche Haltung wir zum Thema Kinderfreundlichkeit haben, denn das ist ein großer, sehr weitgefasster Begriff. Bevor wir mit Kindern daran arbeiten, müssen wir als Erwachsene einen Standpunkt finden und uns überlegen, was „kinderfreundlich“ bedeutet, denn eines muss uns immer bewusst sein: Die Perspektive eines Kindes ist definitiv eine andere.
Birgit Schreiber: Um es mit einem Beispiel zu beschreiben: Ich bin Paddlerin und habe kürzlich bei einer Tour auf dem Altrhein auf einer Mannheimer Rheininsel ein schönes Baumhaus entdeckt. Jugendliche haben sich da mitten in der Corona-Zeit einen sehr kreativen Rückzugsort geschaffen, doch nur für kurze Zeit. Wir würden sagen: Lasst das einfach mal stehen. Solche Orte im urbanen Raum sind knapp geworden, an dem einfach mal was stehen bleiben kann, das zu respektieren, das wäre unser Wunsch und eine Herausforderung für die Zukunft.
Mehr informationen zum Thema kinderfreundliche Kommune hier.
Interview: Ralf Laubscher / LA.MAG
Fotos: Alexander Münch / Tommy Hetzel