„WIR BAUEN SPRACHKURSBRÜCKEN!“
Seit Februar 2020 leiten Sie das Mannheimer Goethe-Institut. Was hat Sie nach Mannheim geführt?
Mir war klar: Mannheim ist eine weltoffene Stadt – und ich hatte Lust, die Leitung eines Goethe-Instituts im Inland zu übernehmen, das über ein gutes Partnerschaftsnetzwerk verfügt und Wertschätzung genießt. Dank des Engagements des Gemeinderates und Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz wird das Institut aktiv durch die Stadt unterstützt. Ein Signal, dass hier – wo Begegnung in Vielfalt und gegenseitigem Respekt schon immer eine wichtige Rolle spielt – eine internationale Institution wie das Goethe-Institut willkommen ist.
Woher kannten Sie Mannheim?
Ich kenne Mannheim schon lange. Meine Schwester und mein Schwager leben hier seit vielen Jahren, mein Neffe wurde hier geboren und ich war regelmäßig zu Besuch. Mir gefällt diese offen gelebte Willkommenskultur, die aus meiner Sicht historisch bedingt ist. In dieser Stadt an zwei Flüssen gab es bedeutende Handelswege, die sich kreuzten. Mannheim war schon zur Zeit der kurpfälzischen Regentschaft eine weltoffene Metropole, in der Einwanderung und Migration gewünscht und normal war.
Susan Zerwinsky
Wie erleben Sie Mannheim heute?
Als eine gelingende, von Diversität geprägte Stadtgesellschaft. Nicht nur in Bezug auf das milde Klima, sondern auch mentalitätsbezogen empfinde ich die Atmosphäre als mediterran: die kurpfälzische Lebensart ähnelt in vielerlei Hinsicht der italienischen. All das macht Mannheim für mich zu einem lebenswerten Ort.
Ihr Start im Jahr 2020 verlief dann aber anders als geplant. Was war passiert?
Als ich am 1. Februar 2020 hier begann, hatte ich nur ein paar Wochen zum Eingewöhnen. Dann kam der Corona-Shutdown und hat alles verändert. Es kam einfach niemand mehr auf die Idee, nach Deutschland zu fliegen, um einen mehrwöchigen Sprachkurs bei uns zu besuchen. Uns brachen nahezu alle Geschäftsfelder weg und wir waren im Leerlauf. Corona wurde für uns zu einer Katastrophe mit wirtschaftlichen Konsequenzen, von denen wir uns bis heute nicht erholt haben. Aber ich sehe die Jahre der Pandemie letztlich als Chance. Wir haben uns gesamtinstitutionell radikal modernisiert und digitalisiert und sozusagen über Nacht weiterentwickelt. Ich bin heute sehr dankbar dafür, dass Lernen und Lehren in digitaler Form als „neues Normal“ gleichberechtigt neben Präsenzunterricht steht. Die Reichweite der Online-Kurse des Goethe-Instituts sind enorm gestiegen und unsere Lehrkräfte unterrichten parallel und selbstverständlich in beiden Welten.
Wie sind Sie persönlich mit der Situation umgegangen?
Normalerweise tritt man einen neuen Job frohgemut an und versucht, schnell die wichtigsten Akteurinnen und Akteure kennenzulernen. Doch ich als Kultur- und Bildungsmensch musste stattdessen alles neu denken und mich neu orientieren. Im Fokus stand die Wirtschaftlichkeit eines mittelständischen Unternehmens mit über 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das war eine Zäsur, aber wir waren pfiffig und haben den Betrieb und das Kursprogramm komplett digitalisiert – innerhalb von wenigen Wochen. Wir konnten mit Masken, verbreiterten Abständen zwischen den Tischen und konsequentem Lüften in allen Pausen auch in den schwierigsten Monaten der Pandemie Integrations- und Berufssprachkurse anbieten. Dafür bin ich rückblickend besonders dankbar!
Was zeichnet das Angebot heute aus?
Das Mannheimer Institut hat die Besonderheit, das einzige Goethe-Institut in Deutschland zu sein, dass in Trägerschaft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Integrationskurse, Berufssprachkurse und Zusatzqualifizierungen für Lehrkräfte in Integrations- und Berufssprachkursen durchführt.
Was ist das Besondere an diesem Schwerpunkt?
Die Integrationskurse des Bundes sind das Instrumentarium der Bundesrepublik, das neu zugewanderten Erwachsenen die kulturelle und sprachliche Integration in das Alltags- und spätere Berufsleben in Deutschland ermöglichen soll. Die Qualität dieser Kurse hat eine besondere Bedeutung. Den Integrationslehrkräften kommt eine herausgehobene Rolle zu. Wenn Sie so wollen, übernehmen diese Menschen die „Lotsenfunktion“ und stehen als Lernbegleiter den Menschen bei allen Fragen der Integration, der Erstorientierung und dem allmählichen Ankommen der Zugewanderten in unserer Gesellschaft bei.
Weil der erste Schritt zur Integration Sprachkenntnisse sind?
Ja, genau: Wir führen Menschen, die aus dem Ausland zugezogen sind, von null Sprachkenntnissen hin zu einem berufsspezifischen Sprachniveau – mit dem sie schnell und erfolgreich in die deutsche Arbeitswelt einsteigen und Karriere machen können Diese spezifische Leistung bieten zu können, hat hier das Team beflügelt. Und das war es auch, was mich an der Institutsleitung so gereizt hat. Überhaupt ist unser Angebotsportfolio sehr vielseitig: Zunächst einmal sind wir ein Sprachkursbetrieb, in dem Menschen aus der ganzen Welt an mehrwöchige Intensivkursen teilnehmen, um ihre Deutschkenntnisse zu erweitern. Wir sind ein Prüfungszentrum und nehmen die Goethe-Zertifikate von A1-C2 ab, die weltweit als offizielle Sprachnachweise bei allen Auslandsvertretungen anerkannt sind und in Deutschland von den Inlandsbehörden für die Aufenthaltsbewilligung oder von den Arbeitgebern als Sprachnachweis benötigt werden.
Sie haben aber offenbar auch ganz neue Handlungsfelder entdeckt…
Ja, wir bilden heute im Auftrag des Universitätsklinikums Heidelberg internationale Pflegekräfte sprachlich aus, die das Klinikum mit dem Partner GIZ im Programm „TripleWin“ in bestimmten Schwerpunktländern rekrutiert hat. Teilweise beginnt diese sprachliche Ausbildung bereits im Heimatland am dortigen Goethe-Institut und wir übernehmen dann die Pflegekräfte hier in Mannheim. Wir nennen dieses Programm dann „Sprachkursbrücke“ und sind überzeugt, dass es uns sehr gut gelingt, die internationalen Pflegekräfte interkulturell und sprachlich gut auf ihren späteren Berufsalltag in Deutschland vorzubereiten.
In Mannheim haben Sie auch ein Zentrum für internationale kulturelle Bildung etabliert. Warum?
Dieses Zentrum vernetzt unsere Arbeit mit den Goethe-Instituten im Ausland und führt hier in Deutschland Maßnahmen durch, die gegen rassistische, antisemitische, antizigane und allgemein menschenverachtende Tendenzen in der Gesellschaft wirken sollen. In Mannheim unterstützten wir in Zusammenarbeit mit der Stadt die Arbeit der Schwarzen Akademie, einer NGO, die sich dafür einsetzt, das Wissen und die Expertise von Menschen, die sich als Schwarze Menschen positionieren, weltweit sichtbar und für alle zugänglich zu machen. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg zusammen, indem wir gemeinsam zum ersten Mal ein Künstler*innen-Residenz-Programm „Sinti und Roma Kunst im Kontext“ durchgeführt haben, das Antiziganismen hinterfragt.
„Ich erlebe Mannheim als eine gelingende, von Diversität geprägte Stadtgesellschaft.“
Susan Zerwinsky
Mit ihrem Ausstellungsprojekt „Vom Kommen, Gehen und Bleiben“ haben sie 2022 diese Perspektive noch erweitert. Warum haben Sie gezielt „Gastarbeiterinnen“ und „Gastarbeiter“ porträtiert, die sich fern ihrer Heimat in Mannheim ein neues Leben aufgebaut haben…
Uns ging es mit dieser Ausstellung auch darum, die Lebensleistung dieser ersten Generation anzuerkennen und zu wertschätzen, dass deren Kinder und Kindeskinder Mannheim ihr Zuhause nennen.
Haben Sie inzwischen wieder Gelegenheit, Ihr Netzwerk zu pflegen?
Tatsächlich hatte ich erst in jüngster Zeit die Gelegenheit, meine Antrittsbesuche nachzuholen. Kürzlich hatte ich ein interessantes Gespräch mit Claus Preißler, Mannheims Beauftragten für Integration und Migration. Er erzählte mir, wie beeindruckt er von einer meiner Vor-Vor-Vorgängerinnen war, die damals ein Großprojekt entwickelte, dass den Namen „Die Welt zu Gast in Mannheim“ trug. Claus Preißler war sich sicher, dass dieses im wahrsten Sinne goethe‘sche Motto gut zu Mannheim passte. Das hat mich sehr gefreut, denn ich sehe es ebenso.
Sie sind in Ihrem Berufsleben viel gereist. Haben Sie bei ihren zahlreichen Stationen wie zuletzt in Rio de Janeiro das Gefühl gehabt heimisch zu werden?
Als Mitarbeiterin einer Entsendungsorganisation, wie dem Goethe-Institut, weiß ich von vornherein, dass meine Zeit an einem Dienstort endlich ist. Dennoch gelang es uns an allen Dienstorten, auf faszinierende Weise sehr schnell, ein „Heimatgefühl“ zu entwickeln.
Und das haben Sie jetzt auch hier in Mannheim?
Ja, ich habe mich hier sofort zu Hause gefühlt. Die Stadt ist weltoffen und inklusiv, was aus meiner Sicht ja auch historisch zu erklären ist: Deutschland war nach dem 2. Weltkrieg innerlich zerstört, besetzt und viergeteilt unter den Allierten. Dann ist das deutsche Volk wieder aus dem Nichts herausgekrabbelt, und ich glaube, diese Wiederauferstehung wurde zur Erzählbiografie der Nachkriegsgeneration. In einer Stadt wie Mannheim war das Wirtschaftswunder nur möglich durch Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Sie waren notwendig, um diesen Erfolg zu schaffen. Die erste Generation ist in Deutschland geblieben und heute sorgt die dritte und vierte Generation für eine Diversität, die heute diese inspirierende Stadtatmosphäre prägt. Da fällt mir aber auch das Beispiel eines Kursteilnehmers aus Tokyo ein. Er hat uns erzählt, dass er das Leben in der Mega-Metropole satt hatte und jetzt hier in Mannheim so viel Wertschätzung erfahren hat, dass er hier leben und bleiben möchte.
Sie lieben urbane Kultur. Dann wohnen Sie in Mannheim sicher auch mitten in der Stadt?
Nein, gar nicht. Wir sind bewusst in den Mannheimer Speckgürtel gezogen, weil es hier eine schöne Mischung aus Stadtnähe und einer fast dörflichen Vorort-Struktur gibt. Wir haben uns hier sofort sehr zu Hause gefühlt. Auch am Stadtrand sind wir gefühlt mittendrin und das Beste ist: Meine Tochter kann zu Fuß zur Schule laufen. Und was ich auch sehr schön finde: Bei uns im Haus wohnt ein aus Polen stammendes Ehepaar, die hier bei uns im Goethe-Institut im Sprachkurs kennengelernt haben. Ihre Geschichte hat mich sehr berührt – auch weil sie sich dafür entschieden haben, hier in Mannheim zu bleiben.
„Ich habe mich in Mannheim sofort zu Hause gefühlt. Die Stadt ist weltoffen und inklusiv“
Susan Zerwinsky
Wo trifft man Sie, wenn Sie mal nicht im Goethe-Institut aktiv sind? Was machen Sie gern in ihrer Freizeit?
Ich bin ein großer Kultur-Fan und ein Natur-Mensch. Ich besuche sehr gerne Konzerte, Theatervorstellungen und Ausstellungen. Man trifft mich öfter in der Kunsthalle und aktuell macht es mir viel Spaß, die Interims-Spielstätten des Nationaltheaters zu entdecken. An unseren Familien-Wochenenden fahren wir Fahrrad entlang des Neckars, machen ausgedehnte Spaziergänge in der Natur oder besuchen Freunde.
Mannheim ist eine UNESCO City of Music. Welchen Bezug haben sie zur Musik?
Ich bedauere, dass Popakademie-Geschäftsführer Udo Dahmen nun in den „Unruhestand“ ausscheidet und wünsche ihm alles persönlich Gute. Ich würde mich freuen, wenn wir mit seinem Nachfolger und dem Popakademie-Team ein weiteres globales Weltmusik-Projekt realisieren könnten!
Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Was ist das Ziel?
Mein Ziel ist, dass wir als Goethe-Institut Mannheim in großer Zahl internationale Fachkräfte sprachlich für mittelständische Unternehmen – sowohl die „hidden champions“ als auch die Global Player – in der Metropolenregion Rhein-Neckar ausbilden. Es gibt Goethe-Institute in 98 Ländern der Welt. Wir bauen „Sprachkursbrücken“, mit denen wir Menschen, die sich für die Einwanderung nach Deutschland entschieden haben, vom Heimatland nach Mannheim begleiten könnten. Unser Institut als Sprachpartner für Wirtschaftsunternehmen zu etablieren – das ist mein erklärtes Ziel für die kommenden Jahre.
Das heißt, Sie richten den Fokus nun auf dieses Angebot?
Ja, unser neuer Fokus ist dieses erweiterte Sprachkursangebot speziell für Fachkräfte aus der Industrie. Gerade in einer wirtschaftlich starken Stadt wie Mannheim scheint mir Sprachkompetenz das Thema der Stunde zu sein. Kürzlich hatte ich ein Gespräch mit der Präsidentin der Mannheimer Hochschule für Wirtschaft und Management: Sie hat bestätigt, was ich von zahlreichen Mannheimer Unternehmen weiß: Studierenden und auch Fachkräften aus dem Ausland fehlen oft deutsche Sprachkenntnisse. Genau dafür wollen wir wir Sprachkurs-Bausteine anbieten. Angedacht sind Kurse, die sich in Ausbildungen und Studiengänge einbinden lassen. Deutsch zu lernen, bedeutet Anknüpfungspunkte zu schaffen – oft als Grundlage für die Entscheidung hier zu bleiben, zu leben und Zukunft zu gestalten. Ich denke, dass wir da auf einem sehr guten Weg sind. Wir beginnen gerade erst, unser großes Potenzial zu heben.
Mehr Infos zum Goethe-Institut Mannheim hier.
Interview: Ralf Laubscher / LA.MAG
Fotos: Sebastian Weindel