Yalla Yalla! – STUDIO FÜR VERÄNDERUNG
Stadtentwicklung, Placemaking, Interior, Zwischennutzung, Architektur … Es wird einem fast schwindlig, was Ihr so alles macht. Seit über fünf Jahren gestaltet ihr urbane Veränderung – aber gibt es auch einen Fokus?
Wulf Kramer: Bitte nicht nach unserem Fokus fragen …oder ja, doch: Wir haben unterschiedlichste Projekte im Fokus! Im Ernst: Tatsächlich sitzen wir gerade daran, uns neu zu sortieren. Wir sind ein Studio für Veränderung, und ich versuche es mal so zu beschreiben: Bei unseren Projekten gibt es einen thematischen Nenner und das ist, neue Zugänge zu Räumen zu schaffen. Unser Fokus ist es, ungewöhnliche und neue Wege jenseits der klassischen Architektur zu gehen, auch wenn wir Schnittstellen zur Hochbauarchitektur haben. Und dann gibt es da zwei Lieblingsthemen: Öffentliche Räume und das urbane Leben am Wasser.
Robin Lang: In den letzten Jahren haben wir uns tatsächlich mit sehr viel unterschiedlichen Themen beschäftigt. Aber das ganz bewusst, weil wir dazu einfach Lust hatten. Wir haben viele temporäre Projekte gestartet, die teilweise von uns selbst initiiert waren, wie 2017 das Placemaking-Projekt „Haltestelle Fortschritt“. Da haben wir einen „Un-Ort“ zu einem urbanen „Place to be“ verändert. Wir haben Ausstellungsdesigns konzipiert wie die Werkschau des Künstlers Fritz Schwegler in der Kunsthalle und wir haben Interior-Projekte umgesetzt wie das Café Concrete in der Neckarstadt. Dabei interessiert uns auch immer stark die handwerkliche Komponente, weshalb wir jetzt mit Citydecks auch die Entwicklung von Stadtmobiliar als eigenständige Firma aus Yalla Yalla! ausgegliedert haben.
„Wir wollen uns mit der urbanen Zukunft beschäftigen und uns aktiv einbringen in die Entwicklung der Stadt, aus der wir kommen und in der wir Zuhause sind.“
Wulf Kramer
Bei Yalla Yalla! klopft man also nicht an, um ein klassisches Privathaus bauen zu lassen. Aber Ihr klopft an, wenn Euch ein spannendes Stadtentwicklungsprojekt begegnet?
Wulf: Wir wollen uns mit der urbanen Zukunft beschäftigen und uns aktiv einbringen in die Entwicklung der Stadt, aus der wir kommen und in der wir Zuhause sind. Wir haben dabei vor allem öffentliche „Innenräume“ im Blick, mit denen wir uns intensiv konzeptionell beschäftigen. Das kann mal ein Gastronomie-Projekt sein oder ein Coworking-Space. Also urbane offene Orte, an denen Menschen zusammenkommen und die mehr Nutzungsmöglichkeiten bieten als nur das Wohnen.
Wie das Projekt ALTER am Alten Meßplatz, das Ihr mitinitiiert habt?
Robin: Bei dem Projekt waren wir privat unterwegs und haben mit anderen einen Verein gegründet. Und ja, wo früher ein Parkplatz war, ist ein öffentlicher Raum entstanden, der mit kostenlosen Sport- und Kulturangeboten sowie einem Kiosk Platz zum Verweilen und Spaßhaben stiftet. Das Prinzip: Jeder ist willkommen und niemand soll hier zum Konsum gezwungen werden. ALTER ist weder exklusiv noch gewinnorientiert. Mit dieser Faustregel reißt die Fläche soziale Barrieren ein und gibt der Neckarstadt das, was sie dringend braucht: öffentliche Sport- und Betätigungsflächen, die von unterschiedlichen Milieus gemeinsam genutzt und geprägt werden. Das Projekt ist als Zwischennutzung gestartet, die in gemeinnütziger Trägerschaft mit dem Verein POW! und mit viel zivilgesellschaftlichem Engagement und der Unterstützung der Stadt aus dem Boden gestampft wurde. Es soll aber auf Wunsch der Stadt verstetigt werden. Wir finden es großartig, dass hier ein Angst- und Problemraum zu einem Ort geworden ist, den die Anwohner – besonders die Kinder – lieben und freizeitlerisch okkupieren.

Zwei, die die Stadt näher als Wasser bringen wollen: Wulf Kramer (links) und Robin Lang am Mannheimer Neckarufer – mit Blick auf das Projekt ALTER am Alten Messplatz.
Wie sieht die Stadt-Architektur der Zukunft aus?
Robin: Neben der Arbeit an öffentlichen Räumen werden wir einen zusätzlichen Fokus setzen: Ein neues, sehr wichtiges Thema ist für uns das „Zirkuläre Bauen.“ Einfach ausgedrückt: Wir arbeiten mit Ressourcen, die bereits vorhanden sind und vermeiden bewusst die Verwendung neuer Produkte. Speziell in der Baubranche entsteht massenhaft Müll, wenn bestehendes Material nicht recycelt wird. Das „Zirkuläre Bauen“ ist ein neuer und sicher nicht einfacher Ansatz, aber aus unserer Sicht ein Weg, den man gehen muss, um wirklich nachhaltige Architektur zu schaffen.
Gibt es da schon ein konkretes Projekt?
Wulf: Das praktizieren wie gerade ganz konkret in einem alten Bahnhofsgebäude in Südhessen, das zukünftig gastronomisch genutzt wird. Bei so einer Bestandsimmobilie schauen wir also erst mal, welche Materialien bei einem Rückbau wiederverwertbar sind und wie sie in den Kreislauf zurückgeführt werden können.
Robin: In Mannheim gibt es bereits Beispiele für diesen Ansatz: Wir finden es sehr gut, wie der Mannheimer Künstler Philipp Morlock auf dem Konversionsgelände Franklin ein altes Kasernengebäude entkernt hat, und vorhandenes Material jetzt wieder dem Markt zur Verfügung stellt.
Die Zwischennutzung leerstehender Objekte war für Euch von Anfang an ein großes Thema. Wie läuft das Projekt Startraum, das Ihr in Kooperation mit der Stadt und der Kulturellen Stadtentwicklung bei NEXT MANNHEIM betreibt?
Robin: Startraum gibt es jetzt seit drei Jahren. Das Projekt ist zu einer wichtigen Plattform geworden, die Künstlern und Kreativen Räume zur Zwischennutzung anbietet. Mannheim hat heute ja weniger ein Problem mit Leerständen, sondern damit, dass es generell wenig zugängliche Räume für die Kultur- und Kreativwirtschaft gibt. Welches Potenzial Startraum bietet, hat zuletzt das Zwischenzeit-Festival gezeigt, als temporär ungenutzte Gewerbeflächen in der Mannheimer City von Kreativen, Kulturschaffenden und Startups belebt worden sind. Das hat einen wichtigen Akzent gesetzt, wie man über kulturelle Zwischennutzung offene Orte schaffen kann, die anders funktionieren als man das aus Innenstadtlagen bisher kennt: Weil sie keine kommerzielle, sondern eine nachbarschaftliche und kulturelle Verwertungslogik haben!

Aus der Perspektive Eures Studios for Change: Wie hat sich Mannheim in den letzten fünf Jahren verändert?
Wulf: In Mannheim hat sich in den letzten fünf Jahren alles sehr dynamisch und schnell entwickelt – wenn man zum Beispiel die Prozesse auf den Konversionsflächen betrachtet. Das Tempo ist hoch, aber gleichzeitig gib es einen zunehmenden Wohndruck in Innenstadtlagen, weil die Mietpreise steigen. Spätestens seit der Pandemie verändert sich auch der stationäre Einzelhandel sehr stark. Experten gehen davon aus, dass 20 bis 30 Prozent der jetzigen Einzalhandelsflächen zukünftig nicht mehr für stationären Handel genutzt werden. Hier wird es also auch neue Überlegungen zu neuen Nutzungen geben müssen.
Robin: Die Entwicklung ist gerade in einer sehr spannenden Phase, weil jetzt neue Antworten für die Zukunft gefunden werden müssen. Gleichzeitig merkt man aber auch, dass es aufgrund der Geschwindigkeit immer weniger Freiräume gibt. Da muss man jetzt schauen, dass es weitere zusätzliche Angebote gibt, sonst gehen offene Orte unter, weil sie nicht mit dem Markt mithalten können. Im Endeffekt braucht es eine neue Struktur, die diese Räume stärker erschließt.
Wie muss diese Struktur aussehen?
Wulf: Wir kommen an einen Punkt an, wo wir vor allem innovative Betreibermodelle entwickeln müssen, um Orte nachhaltig zu bespielen.
„Ich bin schon fast ein ganzes Leben lang in Mannheim – und ganz ehrlich: Ich finde es hier unheimlich spannend und inspirierend.“
Robin Lang
Ihr arbeitet in Mannheim, Euer Studio ist im Gründungszentrum C-HUB im Jungbusch zu Hause. Wohnt Ihr eigentlich auch in Mannheim?
Wulf: Meine Familie kommt aus Mannheim, aber ich bin bei Wiesloch aufgewachsen. Ich wohne zur Zeit nicht hier, stelle mir aber jeden Tag vor, wie cool es wäre, hier zu leben! Ich würde gerne urban wohnen und definitiv nicht in einer konventionellen 3ZKB-Wohnung. Was ich mir vorstelle, ist nicht leicht zu finden, denn ich suche etwas im Hafengebiet – am liebsten direkt am Wasser. In letzter Zeit gefällt mir aber auch der Lindenhof immer besser. Ich habe den Eindruck, dass dieser Stadtteil am Rheinufer immer vielfältiger und damit immer interessanter wird.
Robin: Ich bin in Mannheim aufgewachsen und wohne heute in der Neckarstadt-West, schon fast im Herzogenried. Früher war es mal mein Plan, in eine andere Stadt zu ziehen, doch dann habe ich Wulf kennengelernt, wir haben Yalla Yalla! gegründet und in Mannheim Projekte gestartet. Ich bin zwar schon fast ein ganzes Leben lang in Mannheim, aber ganz ehrlich: Ich finde es hier unheimlich spannend und inspirierend. Durch unsere Arbeit taucht man immer stärker in die Geschichte der Stadt ein, lernt immer mehr Netzwerke und spannende Leute kennen, mit denen man hier viel bewegen kann. Dazu kommt, dass Mannheim einfach eine sehr gute Dimension hat: Eine echte Großstadt, aber mit kurzen Wegen.
Eingangs habt Ihr gesagt, dass Wasser ein wichtiges Thema Eurer Arbeit ist. Habt ihr da ein Projekt in der Pipeline?
Robin: Ja und nein. Im C-HUB sitzen wir direkt am Verbindungskanal und sehen, wie positiv sich die Uferpromenade am Hafen entwickelt. Auch mit dem Projekt ALTER sind wir direkt am Neckar aktiv. Alle urbanen Angebote am Wasser werden schnell angenommen. Die andere Wahrheit ist aber: Nur ein Bruchteil der Möglichkeiten am Wasser sind in Mannheim genutzt – es gibt also noch viel Potenzial für die Zukunft!
Robin Lang studierte Architektur an der Uni Kaiserslautern. Bereits 2010 hat er sich neben seinem Studium mit einem Büro für Visualisierungen und 3D-Grafiken selbstständig gemacht. 2014 gründete er gemeinsam mit Wulf Kramer Yalla Yalla! – studio for change und arbeitet dort an Pop-Up Projekten, Interiordesigns und Zwischennutzungen.
Wulf Kramer studierte Architektur an der Uni Stuttgart, der AbK Stuttgart und der TU Delft sowie Soziale Innovation an der Uni Krems. In seiner Arbeit spiegelt sich seine Begeisterung für Zwischennutzungen, die Produktion von Stadt und neue Formen der Stadtentwicklung wider. 2014 gründete er gemeinsam mit Robin Lang Yalla Yalla! – studio for change und arbeitet dort mit Zwischennutzungs- und Pop-Up-Projekten an der Schnittstelle zwischen Architektur, Stadtentwicklung und sozialer Innovation. 2014 – 2017 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Nachhaltigkeit, Baukonstruktion und Entwerfen an der Universität Stuttgart
Interview: Ralf Laubscher / LA.MAG
Fotos: Alexander Münch
