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Was für ein Zirkus

Den Mannheimer Kinder- und Jugendzirkus Paletti gibt es seit 25 Jahren – heute lernen hier über 500 Kinder Trapezkünste, Seillaufen, Jonglieren und vieles mehr. Im Interview erklären Tilo Bender und Alexandra Haas ihre Zirkus Paletti-Philosophie und warum Mannheim ein idealer Ort ist, um die Zirkus-Zukunft neu zu gestalten.
Tilo Bender und Alexandra Haas

Alex und Tilo, mit Eurem Zirkus Paletti wart Ihr gerade wieder beim Mannheimer Kinderfest aktiv – jetzt stand am 25. Juni schon wieder ein Kinderfest Spezial als Walk-In-Zirkus an …

Tilo: Es war total schön, nach zwei Corona-Jahren das Mannheimer Kinderfest wieder live und in groß zu erleben. Gemeinsam mit dem Stadtmarketing konnten wir letztes Jahr schon ein tolles Zirkus-Drive-In-Programm als Alternative realisieren – aber jetzt war toll, die Begeisterung der Kinder wieder ganz nah und direkt zu erleben. Alle waren total happy, unsere Zirkus-Mitmach-Angebote auszuprobieren. Und am 25. Juni waren wir sehr froh, den diesjährigen Walk-In ohne Corona-Einschränkungen durchführen zu können.

Welche Zirkus-Nummern kamen beim Kinderfest in der Mannheimer City dieses Jahr besonders gut an?

Alex: Für die ganz Kleinen gab es einen Flohzirkus, Kletter-Angebote und ein Bällchen-Bad. Für die etwas Älteren hatten wir einen Mitmachzirkus organisiert. Und was bei diesem Kinderfest ganz besonders gut ankam waren unsere Trapez-Nummern!

„Ich habe 2007 beim Stadtjubiläum mitgearbeitet und hatte schon damals den Eindruck, dass hier in Mannheim gerade viel entsteht. Der Kultur- und Jugendkulturbereich ist ganz schön nach vorne gekommen.“

Tilo Bender

 

Das Mannheimer Kinderfest ist auch für Euch ein Highlight – aber mit Eurem Zirkus lasst ihr schon seit 25 Jahren Kinderherzen höherschlagen. Was ist Eure Zirkus-Philosophie und was bietet Ihr an?

Tilo: Mit unserem Zirkus gestalten wir für Kinder einen Ort, um Alltagsprobleme zu vergessen. Auf unserem Gelände haben wir ein großes Zirkuszelt und eine Trainingshalle, in der jeden Tag Kinder ab einem Jahr bis zum jungen Erwachsenenalter trainieren – aktuell sind es mehr als 500 Kinder jede Woche. Wir machen aber auch Aktionen an Schulen und Kitas und haben verschiedene soziale Projekte, zum Beispiel für von Armut betroffene Kinder. Für Erwachsene bieten wir einen Business-Zirkus an, zum Beispiel für Firmen.

Alex: Unser Zirkuszelt ist auch als Event-Location für Unternehmen nutzbar, aber auch für Hochzeiten, Geburtstage und andere Veranstaltungen. Und natürlich treten bei uns auch Profi-Zirkusse auf, im Juli zum Beispiel die Absolventen der staatlichen Statistenschule aus Berlin.

Tilo: Vor allem treten im Zirkuszelt aber unsere Kinder auf. Das ist ein wichtiger urbaner Freiraum – für die Zuschauer und die Kinder.

 

Wenn ich mein Kind in den Zirkus bringe – was lernt es dann?

Alex: Unser Zirkus Paletti ist super niedrigschwellig, hier können alle mitmachen. Im Training lernen die Kinder viele soziale Kompetenzen. Es gibt keine Solo-Nummer, die Kinder arbeiten immer im Team zusammen, um am Ende gemeinsam eine Show auf die Bühne zu bringen. Die Kinder unterstützen sich, geben sich gegenseitig Hilfestellungen und lernen einander zu vertrauen. Man lernt beim Zirkus aber auch Selbstbewusstsein.

Tilo: Und das Selbstwertgefühl ist sehr wichtig. Die Kinder erlenen etwas Besonderes und werden sich darüber bewusst, dass sie etwas Besonderes sind. Wenn ein 10-jähriges Kind vor 500 Leuten seine Zirkuskünste präsentiert, ist der Applaus eine sehr wertvolle Bestätigung für dieses Kind.

Alex: Wir sagen immer: Zirkus macht aus kleinen Personen große Persönlichkeiten.

Tilo: Die Kleinen wachsen hier über sich selbst hinaus. Sie merken, wenn sie dranbleiben und üben, dann kommen sie weiter.

Alex: Und sie erkennen, dass Unterschiedlichkeit eine Stärke ist. Ein Zirkusprogramm funktioniert nicht, wenn jeder nur jongliert oder jeder nur Akrobatik macht. Wir brauchen unterschiedliche Menschen, damit das Programm bunt und vielfältig ist. So lernen die Kinder wertzuschätzen, dass es unterschiedliche Voraussetzungen und Vorlieben gibt – aber nur zusammen funktioniert es.

„Zwischenzeitlich war ich nach Berlin gezogen, aber als ich nach Mannheim zurückgekommen bin, hatte ich das Gefühl: Hier tut sich voll was! Die Kunst- und Kulturszene hat sich krass entwickelt. Es gibt heute viel mehr Orte und Veranstaltungen, wo Zirkus ein Teil der urbanen Stadtentwicklung ist.“

Alexandra Haas

 

Welchen Nutzen hat ein moderner Kinderzirkus heute für eine Stadtgesellschaft?

Tilo: Wir bieten hochwertige Freizeitmöglichkeiten für Familien und verstehen uns als „weicher Standortfaktor“ für Mannheim. Es wird immer wichtiger, Arbeitnehmenden nicht nur einen guten Job und gute Bezahlung zu bieten, sondern auch ein gutes Umfeld und Betätigungen für ihre Familien. Ich erinnere mich an eine Paletti-Familie, in der der Papa eigentlich aus beruflichen Gründen wegziehen musste, aber die Kinder wollten unbedingt im Zirkus Paletti bleiben. Schließlich ist die Familie in Mannheim geblieben – und ist heute sehr glücklich mit dieser Entscheidung.

Alex: Paletti als ein offener, urbaner Raum für Mannheim ist auch ein Stabilitätsfaktor. In meiner Gruppe gibt es 15-Jährige, die inzwischen 10 Jahren Zirkuserfahrung besitzen. Und diese jungen Persönlichkeiten werden auch noch lange dabeibleiben.

Tilo: Bei den sozialen Projekten lernen Kinder etwas, was sie sonst nicht vermittelt bekommen. Und zwar nachhaltig. Zirkus ist nichts Schnelllebiges, sondern die Kinder erinnern sich lange daran. Davon profitiert auch die Stadt Mannheim als Ganzes.

Und was bedeutet Mannheim für Paletti?

Tilo: Wir sind auch ein Sportverein und bekommen als solcher die üblichen Fördermittel – also Jugendförderbeitrag und Unterhaltungskostenzuschuss. Darüber hinaus haben wir eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Stadt: Mannheim mietet ab und an unser Zelt für die ein oder andere Veranstaltung und im Gegenzug sind wir auf einigen Veranstaltungen der Stadt aktiv.

 

Wie hat das alles eigentlich angefangen?

Tilo: Das Ganze ist aus einer Ferienaktion entstanden. Ich habe als Betreuer beim Spielmobil Mannheim gearbeitet und mit der damaligen Leiterin ein Zirkusprogramm aus der Taufe gehoben – und da haben wir uns gefunden: Wir wollten beide eine dauerhafte Zirkuseinrichtung gründen! Die ersten Schritte sind wir übers Stadtjugendamt gegangen, bis wir 2004 einen gemeinnützigen Trägerverein gegründet haben. Und seitdem entwickeln wir uns stetig weiter: Wir haben mit 30 Kindern angefangen, inzwischen stehen 700 auf der Warteliste.

25 Jahre Paletti in Mannheim – was hat sich in eurer Wahrnehmung verändert?

Alex: Ich bin in Mannheim geboren und habe schon als Kind bei Paletti mitgemacht. Für mich haben Paletti und Mannheim immer zusammengehört.

Tilo: Und heute bist du stellvertretende Geschäftsführerin bei Paletti!

Alex: Ja! Zwischenzeitlich war ich zwar mal nach Berlin gezogen, aber als ich nach Mannheim zurückgekommen bin, hatte ich das Gefühl: Hier tut sich voll was! Die Kunst- und Kulturszene hat sich krass entwickelt. Es gibt heute viel mehr Orte und Veranstaltungen, wo Zirkus ein Teil der urbanen Stadtentwicklung ist. Das ist zum Beispiel das Delta Festival im Juni und von der Partyszene bis zur klassischen Musik: Überall haben sich neue Projekte aufgetan. Das finde ich megaspannend – als Privatperson und auch für den Zirkus: Es gibt immer mehr Synergien!

Tilo: Diesen Eindruck habe ich auch! Ich habe 2007 beim Stadtjubiläum mitgearbeitet und hatte schon damals den Eindruck, dass hier in Mannheim gerade viel entsteht. Der Kultur- und Jugendkulturbereich ist ganz schön nach vorne gekommen.

Alex: Ich habe auch das Gefühl, immer mehr Menschen wollen in Mannheim bleiben – mich eingeschlossen – weil es heute eine große Vielfalt an Möglichkeiten in der Stadt gibt. Eine Vielfalt, die sich auch in der Vielfalt der Menschen spiegelt.

Feiert ihr Euer 25-jähriges Paletti-Jubiläum?

Alex: Aber Hallo!

Tilo: Na logo!

Alex: Wir feiern vom 30. September bis zum 03. Oktober. Jeder Tag steht unter einem bestimmten Motto. Von Jubiläums-Gala-Show bis Kinderkulturtag und Familien-Zirkusbrunch ist alles dabei.

Tilo: Es ist uns wichtig, die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen. Das ist ein Geschenk für die Kinder und ein Geschenk für die Stadt.

Letzte Frage: Was haltet ihr von der Redewendung: „Was für ein Zirkus!“?

Alex: Viele Leute haben noch ein traditionelles Bild von Zirkus im Kopf. Aber diese Wahrnehmung verändert sich gerade. Ich weiß noch, als ich jung war und gesagt habe, „ich mache Zirkus“, haben meine Klassenkameraden gesagt: „Bist du ein Clown oder was?!“ – aber heute finden das alle total cool!

 

https://zirkus-paletti.de

Interview: Lena Fiedler / LA.MAG

Fotos: Sebastian Weindel