ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT
Nach über 20 Jahren als Musikproduzent und mehr als 3,5 Millionen verkauften Tonträgern: Warum jetzt der Wechsel in die Geschäftsführung der Popakademie?
Ich hatte schon immer den Wunsch, die Musikstadt Mannheim nach vorne zu bringen. Das war schon vor über 20 Jahren so, als ich bei Dr. Peter Kurz anbot zu helfen, der damals noch Kulturdezernent war. Die Stadt hatte spannende Projekte in der Schublade: Neben dem Existenzgründungszentrum Musikpark eine Art „Akademie für Popmusik“. Das Thema hat mich sofort sehr interessiert und ich bin in die Gründungsgruppe eingestiegen, unter anderem zusammen mit den späteren Popakademie-Geschäftsführern Udo Dahmen und Hubert Wandjo, mit dem ich das Label „Beats around the Bush“ betrieb. Ich war dann auch über 10 Jahre im Aufsichtsrat der Popakademie und es schwang bei mir immer mit, dass ich später mal in die Geschäftsführung einsteigen könnte.
Warum war 2022 der richtige Zeitpunkt für den Einstieg?
Zu meiner aktiven Söhne Mannheims-Zeit bis 2017 war das nicht machbar, da war ich noch zu stark eingespannt. Nach der Beendigung meiner Zusammenarbeit mit Xavier Naidoo vor fünf Jahren habe ich mich dann aber ein gutes Stück neu erfunden – unter anderem mit neuen Projekten wie der TV-Produktion „Die Passion“. 2022 – passend zu meinem 50. Geburtstag – war dann der richtige Zeitpunkt gekommen, meine dritte Karriere zu starten.
Was war denn die erste Karriere?
Eigentlich bin ich ja Naturwissenschaftler, ich habe ein Biologie-Studium absolviert. Aber schon mit vier Jahren begann ich Klavier zu spielen und im Grunde meines Herzens bin und bleibe ich Musiker. 1995 gründete ich mit Xavier Naidoo und anderen Musikern die Söhne Mannheims. Als wir im Jahr 2000 unser erstes Album „Zion“ veröffentlichten, war das eine sehr aufregende Zeit. Damals blickte die gesamte deutsche Musikszene nach Mannheim, denn nach Xaviers Trennung von 3P und Moses Pelham fand unsere erste eigene Produktion besondere Beachtung. Das Debut wurde wie man weiß zu einem Erfolg, ebenso wie das zweite Naidoo-Soloalbum. Als ich danach mal wieder durchatmen konnte, wollte ich mich zügig wieder der Musikförderung meiner Heimatstadt widmen. Mit den Söhnen Mannheims haben wir für die Akademie fünf Benefizkonzerte gespielt und gehörten zu einem Unterstützerkreis gemeinsam mit der Plattenfirma Universal, regionalen Unternehmen wie Radio Regenbogen und der Stadt Mannheim.
Der Einstieg in die Popakademie ist also so eine Art Rückkehr. Hat sich so auch der erste Tag angefühlt?
Wer mich kennt, weiß: Ich bereite mich auf so eine Aufgabe gerne vor. Vor dem ersten Tag hatte ich schon alle relevanten Leute getroffen und mich mit meinem Vorgänger Hubert Wandjo intensiv eingearbeitet. Dennoch waren der erste Arbeitstag und die Antrittsrede vor dem Akademie-Team etwas Besonderes. Udo Dahmen hat mir den Einstieg mit einer wertschätzenden Rede sehr leicht gemacht. Aber das Wichtigste war: Er und Hubert Wandjo haben seit der Gründung der Popakademie vor 20 Jahren extrem gute Arbeit geleistet. Es ist toll, in ein so hervorragend aufgestelltes Institut einzusteigen – mit einem wirklich phantastischen Team.
Leiten jetzt gemeinsam die Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim: Prof. Udo Dahmen (rechts) und Michael Herberger
Wie ärgerlich war der Pressebericht, der den Einstieg so darstellte, dass es für die Stelle als Künstlerischer Direktor nicht gereicht hat und Du deshalb den Bereich Musik- und Kreativwirtschaft von Hubert Wandjo übernehmen solltest?
Natürlich habe ich mich darüber geärgert. Fakt ist aus meiner Sicht: Auf Grund meiner Erfolge als Produzent und Musiker über zwei Jahrzehnte, war meine Bewerbung für den Bereich Populäre Musik nur folgerichtig. Ich sehe mich aber für beide Jobs qualifiziert, denn in den letzten Jahren habe ich vermehrt im Bereich Musikbusiness gearbeitet. Die Findungskommission und der Aufsichtsrat waren ja offensichtlich auch der Meinung, dass ich für den Posten als Businessdirektor mit allem was ich mitbringe der Richtige bin – ein knochentrockener Businessmensch wäre da wahrscheinlich auch fehl am Platz.
Überschneiden sich die beiden Bereiche Popmusik und Musikbusiness heute nicht ohnehin immer stärker? Es ist eine völlig neue „Artist Economy“ entstanden, in der sich heute immer mehr Musiker*innen selbst vermarkten müssen.
Unsere Struktur mit den beiden Bereichen ist sehr erfolgreich und immer noch aktuell – denn tatsächlich bekommen Künstler*innen, die bei uns Popmusikdesign studieren auch eine Musikbusiness-Ausbildung. Umgekehrt bringen wir unsere Musikbusiness-Studierenden in Lehrveranstaltungen gezielt mit Musiker*innen zusammen. Wie gut das in der Praxis funktioniert, zeigen Beispiele wie der Erfolg von Alice Merton. Sie hat bei uns Popmusikdesign studiert und hat ihre Musiker hier in der Popakademie gefunden, ebenso wie ihr Management. Die Bildung dieser Netzwerke ist ein großer Vorteil und ein Alleinstellungsmerkmal hier im Haus.
„Mit Veranstaltungen wie dem ‘Future Music Camp‘ stellen wir in Mannheim vor, welche innovativen Vermarktungsformen und Plattformen sich in jüngster Zeit entwickelt haben, um sich in der heutigen Musikszene selbst zu vermarkten und Communities aufzubauen.“
Michael Herberger
Was siehst Du als wichtige Zukunftsaufgabe im Bereich Musikbusiness?
Am wichtigsten ist es heute, mit Krisen umgehen zu können, die sich immer schneller ereignen.Wenn ich auf die Zeit zurückblicke, in der ich schon Musik mache, ist seit Ende der 90er Jahre enorm viel passiert: Es begann damit, dass plötzlich mehr CD-Rohlinge als CDs verkauft wurden, weil die Musikfans massiv kopiert haben. Die nächste Krise waren dann Tauschbörsen wie Napster. Plötzlich waren Immer weniger Leute bereit für Musik etwas zu zahlen. Bis heute mangelt es immer noch an Empathie für Menschen, die von der Musikproduktion leben müssen, das finde ich erschreckend. Inzwischen geht es der Musikbranche zwar wieder deutlich besser und durch das Streaming werden hohe Umsätze erzielt, aber als junger Independent-Künstler kann man vom Streaming allein nicht leben, da müsste man schon zum Beispiel Influencer mit enorm hoher Reichweite sein.
Um erfolgreich zu sein, müssen die Musiker*innen von heute und morgen viel mehr können, als nur gute Musik zu machen. Wie bereitet die Popakademie Studierende auf diese Herausforderung vor?
Mit Veranstaltungen wie dem „Future Music Camp“ stellen wir in Mannheim vor, welche innovativen Vermarktungsformen und Plattformen sich in jüngster Zeit entwickelt haben, um sich in der Musikszene selbst zu vermarkten und Communities aufzubauen. Das Thema „Do it yourself“ war früher schon wichtig, aber nun wird es immer wichtiger. Im Gegenzug wird es gleichzeitig immer schwieriger, weil man neben dem Musikmachen so viele Kanäle gleichzeitig bespielen muss: Instagram, TikTok, YouTube und viele mehr. Gleichzeitig ist durch Corona das Livegeschäft ebenfalls schwieriger geworden. Gerade ging ein Preisschock durch die Branche. Da die Technikkosten gestiegen sind und Künstler ihre Gagen anheben müssen, wird das Geschäft für Veranstalter komplizierter und gleichzeitig gehen weniger Menschen als früher zu Konzerten, die Zuschauerzahlen gehen zurück – und das ist ein Problem.
„Mannheim als Musikstadt muss man heute nicht mehr erklären. Durch unsere vielen erfolgreichen Alumni hat man Mannheim diesbezüglich schon längst auf dem Schirm. Die Musikbranche ist voll mit Popakademie-Absolventen, wovon einige auch in der Region geblieben sind, um durchzustarten.“
Michael Herberger
Mannheim hat sich als Musikstadt neu erfunden und ist seit 2014 eine UNESCO City of Music. Welches Potenzial ergibt sich daraus für die Zukunft?
Mannheim als Musikstadt muss man heute nicht mehr erklären. Durch unsere vielen erfolgreichen Alumni hat man Mannheim diesbezüglich schon längst auf dem Schirm. Die Musikbranche ist voll mit Popakademie-Absolventen wovon einige auch in der Region geblieben sind, um durchzustarten wie beispielsweise die Gründer des KI-Unternehmens Cyanite. Aus unserem Potenzial als Musikstadt können wir in Zukunft aber sicher noch mehr machen. Aus meiner Sicht ist das Thema in den letzten Jahren ein bisschen in den Dornröschenschlaf gefallen – in den nächsten Jahren sollten wir das Thema Musik- und Kreativstadt wieder auf die Agenda bringen. Es gab hier bislang ja kaum jemand, der die meisten relevanten Player kennt und die vielen losen Enden zu neuen Netzwerken verknüpft – und dafür bin ich unter anderem angetreten. Es braucht ein vertrauensvolles Verhältnis zu den entsprechenden Akteur*innen und das würde ich mir durchaus zuschreiben. Ziel sollte sein, das „Mannheimer Modell“, das mit dem Existenzgründungszentrum Musikpark, der Popakademie und der städtischen Music Commission erfolgreich gestartet ist, jetzt mit neuen gemeinsamen Kräften in die Zukunft zu entwickeln.
Wie erlebst Du die Mannheimer Musikszene aktuell?
Während Corona gab es eine kleine Delle, aber aktuell haben wir wieder viele Popakademie-Alumni, die großen Erfolg haben, von Joris über Mine bis zu Alice Merton oder den Leuten vom Mannheimer Label Goodkid Music, die unter anderem mit Artists wie 1986zig erfolgreich sind. Aus unserem Bandpool kommen neue Top-Acts wie ClockClock oder Provinz und dann gibt es auch außerhalb der Popakademie den immensen Erfolg von Apache 207 und seinem Management Feder Musik. Das ist schon sehr viel Substanz aus Mannheim und der Region.
Hat Dich als Profi der Erfolg von Apache 207 überrascht?
Wenn man betrachtet, was er in so kurzer Zeit erreicht hat, dann hat der Erfolg sicher viele in der Musikbranche überrascht. Ich durfte mit ihm und seinem Management im letzten auch hier und da zusammenarbeiten und nehme das Ganze als extrem authentisch, professionell und gleichzeitig bodenständig wahr. Apache ist ein sehr talentierter Künstler und passt als Typ zu unserer Region. Es freut mich sehr, dass er auch live nachhaltig erfolgreich ist – und vielleicht gibt es ja auch die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der Popakademie, schaun‘ wir mal.
Was ist das Ziel für den Popakademie-Bereich Musik- und Kreativwirtschaft ?
Abseits der Lehre sind im Moment Themen wie Innovation, Digitalisierung und KI die Schwerpunkte. Wir beobachten die neuesten Entwicklungen um das Web 3.0 und stellen vor, welche Möglichkeiten beispielsweise NFTs oder das kommende Metaverse eröffnen. Das Thema Innovation ist auch ein Aspekt, der gut zur Erfinderstadt Mannheim passt, wo schon immer Zukunft gemacht wird. Das Future Music Camp ist da ein gutes Beispiel. Wir wollen das Format weiter entwickeln und das Thema Digitale Innovation nicht nur für Studierende und das Fachpublikum erlebbar machen. Aktuell arbeiten wir daran, das Thema in die nächste Mannheim Music Week zu integrieren, die im Mai 2023 stattfinden soll. Das passt denke ich bestens zur Positionierung Stadt und zur strategischen Ausrichtung der Stadtmarketing GmbH, die ja unter anderem das Innovationsfestival innomake! initiiert hat.
Wie wichtig ist das Thema „Nachhaltigkeit“ für die Musikwirtschaft?
Nachhaltigkeit war mir persönlich schon immer wichtig. Das ist ein Thema, dem man in der Musikindustrie noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen sollte. Gerade hatten wir in der Popakademie eine Veranstaltung mit unserer Absolventin Fine Stammnitz. Sie ist die Gründerin des Netzwerks Green Touring, das einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz leistet und als Studierenden-Projekt an der Popakademie entstanden ist. Tatsächlich sind auch überdurchschnittlich viele unserer weiblichen Absolventinnen inzwischen in Führungspositionen, das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung.
Wird die Popakademie weiterwachsen?
Die Bewerber und Bewerberinnen Zahlen sind nach wie vor hoch und wir sind inzwischen mit unseren fünf Studiengängen sehr gut aufgestellt. Wir arbeiten beständig weiter an der Qualität unserer Studiengänge.
Was sind die wichtigsten Projekte im neuen Jahr 2023?
2023 ist ein sehr wichtiges Jahr für die Popakademie. Wir werden unser 20-jähriges Jubiläum feiern, das Spitzenförderungsprogramm Bandpool feiert ebenfalls Jubiläum und unser aktueller Fokus liegt auch auf der kommenden Mannheim Music Week im Mai. Die Idee ist es, die Mannheim Music Week mit der Mannheim Music Commission langfristig zu einer kleinen, feinen Alternative zum Hamburger Reeperbahn Festival zu entwickeln: Ein Festival, das Musik mitten in die Stadt bringt, das aber auch gleichzeitig ein Branchentreff ist zum Zukunftsthema Digitale Innovation in der Musikindustrie.
Bleibt eigentlich noch Zeit, um weiter selbst Musik zu produzieren?
Ich kann jetzt nur noch wenig produzieren, aber das ist völlig ok für mich. Was die Produktion deutscher Popmusik angeht, ist meine Geschichte erstmal erzählt. Ich konnte ja fast 20 Jahre aktiv sein und mehr oder weniger machen, was ich will. In Zukunft werde ich sicher auch noch mal etwas Eigenes starten, aber das wird dann vermutlich etwas ganz Neues sein.
Und wo in Mannheim trifft man Michael Herberger, wenn er mal nicht arbeitet?
Ich befürchte, man trifft mich zurzeit eher kaum außerhalb der Popakademie. Mein Terminkalender ist prall gefüllt – auch mit sehr viel Abendveranstaltungen hier im Haus. Da ich auch kein regelmäßiger Kneipen- oder Clubgänger bin, sind gute Gespräche in kleiner Runde bei einem guten Abendessen eher mein Ding – da trifft man mich vielleicht im italienischen Restaurant Costa Smeralda in der Mannheimer Schwetzinger Vorstadt, oder im Restaurant Eno in den Quadraten, das ich kürzlich für mich entdeckt habe. Aber ganz ehrlich: Wenn ausnahmsweise mal nichts ansteht, bin ich am liebsten zu Hause bei meiner Familie.
Fotos: Sebastian Weindel